Nephilim
sind«, sagte Antonio und öffnete die Augen. »Nicht eines Engels, wie ich es bin, sondern eines wirklichen, eines wahren Engels. Dieser Ort ist die Sehnsucht und der Tod, aber er ist auch das Leben. Dieser Ort ist die Ewigkeit, und er wird es bleiben – für immer.«
Nando erwiderte nichts, denn er war sich nicht sicher, ob er die Worte verstanden hatte, die Antonio zu ihm sprach. Eine tiefe Traurigkeit lag in ihnen, eine Wehmut, die er sich nicht erklären konnte, und er war froh, als Antonio den Blick wandte und sein Gesicht jede Maske verlor.
»Als Tellerwäscher bist du in diese Stadt gekommen«, sagte sein Mentor. »Dir schlug Hass entgegen, Missgunst und Verachtung, du musstest hart kämpfen, um deine Ziele zu erreichen, und oft warst du dir dabei selbst der größte Feind. Du bist ein Teil Bantoryns geworden, ein Teil der Schattenwelt, der du immer schon warst.«
Nando nickte, denn Antonio schaute ihn an, als erwartete er eine Bestätigung seiner Worte. Das Gold in den Augen des Engels glomm in schwachem Feuer.
»Ich war lange Zeit nicht mehr an diesem Ort«, fuhr Antonio fort. »Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Ich denke, dass hier der richtige Platz ist, um … « Er stockte.
Nando zog die Brauen zusammen. Konnte es sein, dass Antonio, der Engel, der Erbauer Bantoryns und Beschützer der Nephilim, nach Worten suchte? Eine seltsame Unruhe überkam ihn bei diesem Gedanken, und als Antonio langsam nickte, wusste er, dass dieses Gefühl begründet war.
»Was ist los?«, fragte Nando. »Warum bist du gekommen?«
Offensichtlich war er nicht der Einzige, der eine Antwort auf diese Fragen erwartete, denn es polterte hörbar im Geigenkasten. Antonio hob kaum merklich die Brauen. Dann streckte er die Hand aus und legte einen Dämmzauber über den Koffer, sodass keine neugierige Dschinniya im Inneren etwas von dem mitbekam, über das er sprechen wollte. Nando hörte ein empörtes Schnauben Kayas, doch noch ehe er eine Bemerkung dazu hätte abgeben können, wandte Antonio den Blick.
Der Engel sah ihn an, sehr direkt nun und ohne einen Lidschlag, und während Nando in das taumelnde Gold seiner Augen schaute, versank alles außer seinem Gegenüber in einem Meer aus schwarzen Tüchern. Antonio sog die Luft ein, als wollte er seine Worte über seine Lippen treiben. »Ich habe oft kurz davorgestanden, dir das zu erzählen, was du erfahren solltest, und immer bin ich im letzten Augenblick davor zurückgeschreckt. Doch nun, da du dich zu Bantoryn bekannt hast, nun, da du deine Fähigkeiten und deinen Weg in den Schatten anerkennst, ist es an der Zeit, dass du die Wahrheit hörst, die Wahrheit einer Geschichte, die kein anderer Nephilim Bantoryns jemals erfahren hat – außer Aldros, dem ersten Teufelssohn, den ich in meine Obhut nahm.«
Nandos Herz schlug schneller. Niemals zuvor hatte Antonio den Namen seines Vorgängers laut ausgesprochen, und nun, da er ihn über die Lippen brachte, glitt ein Schmerz über seine Züge, den Nando nicht deuten konnte. Für einen Moment schien es, als würde er nicht Nando ansehen, sondern einen anderen Nephilim, einen jungen Mann mit dunklen Augen, der sich in den Augen des Engels spiegelte. Langsam strich Antonio den Staub des Mohns von seinen Händen.
»Ich war dabei, damals, als der Teufel in die Verbannung geschickt wurde«, sagte er, und obwohl er Nando noch immer ansah, schien es, als würde er in eine weite Ferne schauen und dort Dinge erblicken, die lang vergangen waren und ihm doch noch so lebhaft vor Augen standen, als wären sie gerade erst passiert. »Ich war dabei in der Schlacht vor Bhrakanthos, der Festung aus Feuer und Finsternis. Luzifer hatte den Plan gefasst, mit einem gewaltigen Heer in die Oberwelt zu ziehen und Menschen wie Engel in eine blutige Schlacht zu verwickeln. Er wollte Chaos, Verzweiflung, Tod, er wollte seinen Fußabdruck auf der Welt hinterlassen, ehe er sie in den Abgrund stoßen würde. Doch die Engelskönigin erfuhr von seinen Plänen, denn einer seiner einstigen Schergen kehrte ihm den Rücken.«
Nando nickte angespannt. »Drengur«, flüsterte er.
»Ja«, erwiderte Antonio. »Einst Erster Vertrauter des Teufels, wandte Drengur sich von seinem Herrn ab und berichtete der Engelskönigin von dessen Plänen. Sie schickte ihre Truppen hinab in die Schluchten der Hölle. Dort, vor den Toren Bhrakanthos’, kam es zur Schlacht zwischen Engeln und Dämonen, und wir hätten alle mit dem Leben dafür bezahlt, in Luzifers Reich hinabgestiegen zu
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