Nephilim
unbarmherzig wurden sie von den Dämonen gepackt und gefesselt, und in ihrer Mitte stand Bhrorok, den Mund zu einem grausamen Lachen verzerrt. Er packte ein junges Mädchen am Handgelenk – ein Mädchen mit pechschwarzen Haaren und Augen wie Smaragden.
Nando schrie auf. »Noemi!«, rief er außer sich.
Schon riss Bhrorok sie zu sich heran und malte einen flammenden Drudenfuß auf ihre Stirn – einen Blutstrich. Der Schreck jagte mit Eiseskälte durch Nandos Glieder. In einem plötzlichen Impuls flog er auf die Stadt zu, doch da schloss sich Antonios Hand fester um seinen Hals.
Es wird dein Ende sein und das ihre, wenn du jetzt gehst , flüsterte sein Mentor in Gedanken.
Noch einmal sah Nando Noemi an, den Zorn in ihrem Blick und den unbeugsamen Willen, mit dem sie Bhrorok ins Gesicht starrte, ehe die Magie des Dämons sie in die Ohnmacht zwang. Dann riss er sich von Bantoryn los. Atemlos raste er über die Dächer der Stadt davon, doch Bhroroks Stimme jagte ihm nach, grollend und tosend:
»Ich warte auf dich«, rief der Dämon und lachte laut. »Ich warte auf dich, Sohn des Teufels!«
46
Rauchschwaden schlugen Nando ins Gesicht, als er die letzten Häuser der Stadt hinter sich ließ. Die Dämonen verfolgten die fliehenden Engel unerbittlich, mächtige Flammenzauber zertrümmerten die Gebäude Bantoryns und setzten sie in schwarze und violette Feuer. Immer wieder wich Nando den Dämonen aus, die schattenhaft über die Dächer strichen, und vereinzelt musste er sich auch vor den Engeln verbergen, die vermutlich trotz ihrer prekären Lage nicht gezögert hätten, Antonio und ihn anzugreifen.
Sein Mentor hustete keuchend. Nando hielt ihn umfasst, denn Antonio schlug nur noch schwach mit den Schwingen. Sein Körper wurde schwerer, die Kälte drang durch seine Kleidung und ging mit unerbittlicher Grausamkeit auf Nando über, der hilflos einen Blick nach Bantoryn zurückwarf. Rauchsäulen stiegen von den Gebäuden auf, immer wieder fielen einzelne Häuser donnernd in sich zusammen, und deutlich klang das Prasseln von Feuer zu ihnen herüber und die dumpfen Schreie der Engel, die den Dämonen zum Opfer fielen. Es war ein Bild der Zerstörung, ein Bild wie in einem Albtraum. Bantoryn, die Stadt jenseits des Lichts, stürzte in die Finsternis.
Atemlos richtete Nando seinen Blick wieder nach vorn. Er konnte den Nebel sehen, der die Stadt in einiger Entfernung umschloss. Der Bannzauber, den die Engel vor ihn gelegt hatten, war in sich zusammengefallen, sie würden ihn ungehindert passieren können. Hatten sie ihn erst einmal erreicht, würden sie vor den Blicken der Dämonen sicher sein, sie würden untertauchen im geisterhaften Dunst und sich ihren Weg in die Gänge der Schatten suchen. Dort konnten sie sich verstecken, Nando würde versuchen, Antonio zu heilen, und dann würden sie sich gemeinsam in Sicherheit bringen und überlegen, wie es weitergehen sollte.
Unter ihnen wogte das Mohnfeld im Wind, der säuselnd nach Nandos Schwingen griff, und kaum dass er die Berührung fühlte, stöhnte Antonio auf. Er begann erneut zu husten, doch dieses Mal war der Anfall so heftig, dass er nicht mehr weiterfliegen konnte. Nando packte ihn mit aller Kraft, aber der Körper des Engels zog sie abwärts, bis sie inmitten der Mohnblumen landeten.
Antonio sank zu Boden, sein Atem ging pfeifend. Der Mohn reichte weit genug hinauf, um sie beide zu verbergen, doch Nando nahm es kaum wahr. Schaudernd bemerkte er die Schatten, die sich in Antonios Augen sammelten und langsam unter der bronzefarbenen Haut des Engels entlangkrochen. Er schlug das blutgetränkte Hemd zurück, doch der Anblick der halb zerfetzten Brust ließ ihn scharf Atem holen. Die Wunde war tief, die schwarzen Flammen Bhroroks waren in Antonios Fleisch gedrungen und hatten sein Blut vergiftet. Hilflos hob Nando die Hand und bewegte sie über der Wunde, doch sein Heilungszauber hatte sich kaum über die Verletzung gelegt, da zerriss er auch schon wie ein dünner Schleier. Kälte zog durch das Mohnfeld, eine Kälte, die Nando die Kehle zuschnürte. Er griff nach der Hand seines Mentors, sie war eisig wie aus Marmor, doch Antonio sah ihn ruhig an, und ein Lächeln glitt über seine Lippen.
»Keine Angst«, flüsterte er, und Nando konnte hören, dass ihm das Sprechen schwerfiel. »Der Tod ist nichts, wovor man sich fürchten sollte.«
Nando spürte, wie ihm Tränen in die Augen traten, doch er drängte sie mit aller Macht zurück. Er würde nicht heulen wie ein kleines
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