Nephilim
Vorsichtig trat er zu Salados ans Ende der Gasse und schaute auf das Fest der Dämonen, das sich vor seinen Augen abspielte.
Der Markt der Zwölf war überfüllt, doch das Erste, was Nando wahrnahm, waren die Musiker, die auf dem Podest aus schwarzem Marmor Aufstellung genommen hatten. Sie waren zu siebt, zwei von ihnen spielten auf pechschwarzen Violinen, drei andere auf Bratsche, Cello und Klavier, und ein weiterer Musiker nutzte ein Instrument, das Nando entfernt an ein Akkordeon denken ließ. Inmitten der Spielenden stand eine Frau, die Haare grün, die Haut blau wie ein tiefer See. Sie hatte keine Schwingen, aber ihre Finger waren lang wie die Klauen eines Reptils und ihre Augen rot wie klaffende Wunden. Sie sang, und Nando spürte ihre Stimme als prasselndes Feuer über seine Haut streichen.
Instinktiv wandte er sich ab und schaute hinauf zum Gebäude der Garde. Es war kaum beschädigt worden, noch immer wurde das Gebälk von den goldenen Statuen der ersten zwölf Ritter der Schatten gehalten, die einst die Garde Bantoryns begründeten. Nando dachte daran, wie er zum ersten Mal über diesen Platz gegangen war, wie Antonio ihm von den Heldentaten der Ritter erzählt hatte, und wie sie die beiden Offiziere der Garde gesehen hatten, die den Platz in ihren mit silbernen Stichen übersäten Uniformen überquert hatten. Nando dachte an die Ehrfurcht, die ihn bei diesem Anblick umfangen hatte, und an das Verlangen, einmal auf diese Weise über einen Platz gehen zu können, so stolz und so unnachgiebig wie diese beiden Nephilim. Entschlossen schickte er seinen Blick über die feiernden Dämonen. Er würde nicht über diesen Platz gehen. Er würde auf diesem Platz kämpfen.
Er betrachtete die Tische, die aus den Häusern der Nephilim gestohlen und willkürlich zusammengewürfelt worden waren. Daran saßen Dämonen, dicht an dicht hockten sie auch auf dem Boden und auf einigen der umliegenden Häuser, und aus den breiten Straßen strömten viele weitere nach. Sie taten sich an den Speisen gütlich, die sie geraubt hatten, sie johlten und lachten, und dort, auf einem Podest aus schwarzen Granitblöcken, saß Bhrorok wie auf einem Thron und starrte mit finsterer Miene in die Menge. Nando ballte die Hände zu Fäusten, als er den Dämon sah, und als er das Mädchen bemerkte, das neben seinem Sitz kauerte, überkam ihn eisiger Schrecken.
Ihr schwarzes Haar war ihr ins Gesicht gefallen, ihr Kopf lehnte an dem Thron, und ihre Haut wirkte so bleich und durchscheinend, als würde sie aus dünnem Papier bestehen. Nando fixierte Bhrorok mit seinem Blick, und obwohl sie weit voneinander entfernt waren, meinte er für einen Moment, der Dämon müsste diesen Blick auf seiner Haut fühlen. Doch Bhrorok rührte sich nicht. Schweigend starrte er hinüber zu metallenen Käfigen, in denen seine Gefangenen saßen. Nando sah Kinder in den Kerkern, die Gesichter von Tränen und Schmutz befleckt, er sah Verwundete und apathisch dasitzende Nephilim, und unbändiger Zorn überkam ihn, der es ihm schwer machte, der Ruhe in seinem Inneren die Oberhand zu lassen. Doch gleich darauf spürte er Avartos’ Hand auf seiner Schulter und nickte kaum merklich.
Die Käfige standen nicht weit von ihm entfernt, und doch spürte er die Anspannung in jeder Faser seines Körpers, als er sich weiter an den Platz heranschlich und auf Salados’ Zeichen wartete. Althos hielt sich im Hintergrund, Drengur und Avartos bezogen neben ihm Position, doch er ließ Salados nicht aus den Augen. Die Musiker spielten auf, die Töne wurden leidenschaftlicher, Funken schossen aus den Instrumenten – und als sie in einer Explosion aus Flammen über den Köpfen der Musiker zerbarsten, gab Salados das Zeichen.
Sofort glitt Nando vor, lautlos und schattenhaft, wie er es während seiner Ausbildung gelernt hatte. Er achtete nicht auf die Stimmen der Dämonen, auf die Gesichter, die ihm auf einmal so nah waren, ignorierte auch den Geruch von gebratenem Fleisch und Alkohol und sah nichts mehr als die Nephilim, die auf ihre Befreiung warteten. Eilig schlich er am Rand des Platzes auf die Käfige zu und duckte sich, als er sie erreicht hatte. Einige Nephilim hoben die Köpfe, als sie ihn bemerkten, doch sofort griff er durch die Gitterstäbe und fasste den Erstbesten am Arm. Es war ein Junge von vielleicht zwölf Jahren. Nando nahm in Gedanken mit ihm Kontakt auf und atmete erleichtert auf, als der Junge unauffällig nickte. Schnell wandte das Kind sich zu dem Nephilim um, der
Weitere Kostenlose Bücher