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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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während sie durch die Menge gingen, doch sein Blick hing an den anderen Besuchern, als würde er Gemälde betrachten. Neben einigen zerlumpten Gestalten waren andere beinahe vornehm gekleidet, und viele sahen aus, als wären sie der viktorianischen Zeit entsprungen. Die Männer trugen Gehstöcke, Zylinder, Taschenuhren, sie kleideten sich in Frack oder Gehrock, die Frauen hingegen hatten sich in lange, figurbetonte Kleider gehüllt, in Korsagen, Hüte und lange Schleppen. Zugleich bemerkte Nando moderne Elemente wie mit bunten Strähnen durchsetzte Dreadlocks, die viele Besucher in sämtlichen Längen trugen, futuristisch anmutende Kopfbedeckungen, kunstvoll gearbeitete Monokel aus etlichen Rädern, Schrauben und Gläsern, die bei so manchem die Hälfte des Gesichts bedeckten, oder Headsets, in denen filigrane Messingrädchen schnurrend ineinandergriffen.
    Immer wieder kreuzten auch scheinbar gewöhnliche Menschen mit verfilzten Haaren und schmutzigen Händen seinen Weg. An der Oberfläche hätte er sie als Obdachlose bezeichnet, und er fragte sich, ob er nicht dem einen oder anderen schon einmal begegnet war oder ihm sogar Suppe ausgeschenkt hatte. Mitunter traf ihn ein Blick, denn entgegen ihrem Verhalten an der Oberfläche hielten die Menschen hier den Kopf nicht geneigt. Stolz gingen sie durch die Menge, als wären sie Fürsten in ihrer eigenen Welt, einer Welt, die schmutzig sein mochte und finster, aber die sie sich ausgesucht hatten mit aller Freiheit, zu der ein Mensch fähig war.
    Vereinzelt sah Nando flammende Male auf der Stirn der Besucher, die ihn an einen Drudenfuß denken ließen. Als er Antonio darauf ansprach, nickte dieser düster. »Der Drudenfuß, auch Blutstrich genannt, zeigt den Bund zwischen diesen Geschöpfen und einem Hexer«, erwiderte er leise. »Der sogenannte Diener erhält unbedingten Schutz und bindet dafür sein Leben an das seines Meisters. Nur der Tod eines der beiden kann einen solchen Bund zerbrechen.«
    Nando drängte den Schauer zurück, der bei diesen Worten über seinen Rücken glitt, und ließ seinen Blick über die Waren der Händler schweifen. Er konnte sich einer düsteren Faszination nicht erwehren. Es gab Kreuze für den Exorzismus, in Häute eingeschlagene Bücher, Zauberutensilien wie getrocknete Schlangenleiber, Federn und Pulver in verschiedenen Farben, in Flaschen gesperrte Nebel, aus denen sich plötzlich Klauen und Gesichter schoben und die sich so als gebannte Geister zu erkennen gaben. Lebendige Raben wurden feilgeboten, Eulen und anderes Nachtgetier wie Marder oder Ratten, ebenso Schrumpfköpfe, Tierpfoten und -klauen, schwarze und weiße Hähne und auf dunkle Seide gestickte Veve, graphische Symbole, die einen Geist im Voodoo repräsentierten. Lautstark priesen die Händler hölzerne oder metallene Behälter in verschiedenen Größen an, in denen sich Dschinns befinden sollten, und überall gab es Stände mit den unterschiedlichsten Musikinstrumenten. Es schien Nando, als wäre er auf einem Basar der Kuriositäten gelandet. Auch goldene Murmeln gab es, doch als er näher an den Stand herantreten wollte, hielt Antonio ihn zurück.
    »Engelsaugen«, sagte er trocken. »Hier unten ist das Leben eines Königstreuen nicht unbedingt viel wert.«
    Nando schluckte hörbar, als er noch einmal auf das schaute, was er für gläserne Kugeln gehalten hatte, und sie setzten ihren Weg fort. Nicht immer verstand er die Sprache, in der die Marktschreier ihre Waren anpriesen, aber kein anderer Besucher schien sich an einem möglichen Verständigungsproblem zu stören. Es wurde gefeilscht und überboten, dass jeder Betreiber eines orientalischen Marktes darüber gestaunt hätte, und über allem lag das ständige Rauschen der Turbinen, gemischt mit dem plätschernden Klang unzähliger Stimmen und dem leisen Rauschen der Ascheschleier. An vielen Ständen wurden technische Gegenstände und Roboter verkauft, die jedoch trotz offensichtlich fortschrittlichster Technik äußerlich vor ein paar Jahrhunderten stehen geblieben waren. Und überall gab es Schweißerbrillen in allen Formen und Größen. Fasziniert beobachtete Nando, wie ein schmächtiger Dämon mit gekrümmten Klauen und ledrigen Flügeln an einem Stand ein Hemd anprobierte. Es schien aus Leder und feinen Metallplättchen zu bestehen, doch kaum dass der Dämon etwas gemurmelt hatte und es sich über den Kopf zog, glitt es an den Schwingen auseinander und fügte sich lautlos unter ihnen wieder zusammen. Gerade wollte Nando

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