Nephilim
Antonio auf die magische Kleidung ansprechen, als ihm ein kalter Windhauch in den Nacken fuhr.
Instinktiv trat er beiseite und ließ einen edel gekleideten, farbigen Mann mit Spazierstock und Zylinder vorbeigehen. In seinem Mundwinkel steckte eine Zigarre, zwischen den Fingern der linken Hand drehte er mehrere Kupfermünzen. Eine Frau mit roten Haaren hatte sich bei ihm untergehakt. Sie war in ein schwarzes Kleid gehüllt, einen Schal hatte sie sich um die schmalen Schultern geworfen, während ihre zahlreichen Ohrringe und Ketten leise klimperten. Sie trug eine dunkle Brille, von der das rechte Glas fehlte, und erst als ihr leuchtend grünes Auge Nandos Blick traf, begriff dieser, wer ihm gerade begegnet war.
»Baron Samedi«, flüsterte er, während das Paar an ihm vorbeischritt und in der Menge verschwand. »Maman Brigitte. Götter des Voodoo. Ist das … «
Antonio fing seinen fragenden Blick auf und nickte. »Die Menschen haben sie gestürzt, getötet oder vertrieben. Doch in den Schatten der Unterwelt gibt es sie noch – die Götter von einst.«
Schweigend setzten sie ihren Weg fort, und Nando konnte nicht umhin, sich immer wieder umzudrehen. Wie war es möglich, dass es diese Welt gab, diesen Kosmos an Vielfalt, und er sein gesamtes bisheriges Leben lang nichts davon geahnt hatte? Er war hin- und hergerissen zwischen dunkler Faszination, Entsetzen und Ungläubigkeit, und während sein Blick staunend wie der eines Kindes über die Besucher des Aschemarktes und die ausgestellten Waren glitt, folgte er Antonio schweigend durch das Meer der Nacht, in das er geraten war.
Schließlich hielt Antonio an einem Stand inne, an dem Kleider verkauft wurden, deren Schwärze so schattenhaft war, dass sie ihre Träger beinahe unsichtbar machten. Während er Nando prüfend einen Umhang anhielt, betrachtete dieser neugierig die Ausstellungsstücke des benachbarten Standes. Dort gab es Dolche, die von allein in die Hand der interessierten Marktbesucher sprangen, Schwerter, die wundersame Melodien von sich gaben, wenn sie jemand berührte, und etliche surrende Geräte aus glänzendem Messing und Bronze. Fasziniert musterte Nando einen Kupferstich, auf dem ein prunkvolles Schwert zu sehen war. Flammen tanzten über die funkelnde Klinge, filigrane Streben bildeten den Korb, und aus dem Griff bildete sich das Motiv eines Drachen heraus, der seine Klauen fest um die Waffe wand und dessen aufgerissener Schlund den Knauf bildete. Seine Augen schienen in Flammen zu stehen, Nando hörte das Prasseln des Feuers in der offenen Kehle, und er meinte, die Bewegungen der einzelnen Krallen zu sehen, als er sich zu dem Bild hinabbeugte.
»Bhalvris«, raunte eine Stimme in der Nähe und ließ Nando aufsehen. Der Verkäufer des Standes war ein rundlicher Mann mittleren Alters mit ausgeprägtem Backenbart und ungewöhnlich langen unteren Eckzähnen, die ein Stück weit aus seinem Mund ragten. Seine Augen waren rot und blutunterlaufen, doch er nickte Nando freundlich zu. »Einst das Schwert Michaels, das der Teufel bei seinem Höllensturz mit sich zur Erde hinabriss und es in den Finsternissen seiner Gedanken mit schwärzester Schattenmagie korrumpierte, bis es sein Schwert geworden war. Niemand, so heißt es, konnte seine Kraft vollends entfalten bis auf den Teufel selbst. In meinem Volk gibt es unzählige Legenden über dieses Höllenschwert. Ein Jammer, dass es vernichtet wurde – es wäre sicher der Renner hier auf dem Markt. Aber ich habe auch einige schöne Stücke zu bieten.« Er lachte rau und deutete auf seine übrigen Waren.
Neugierig griff Nando nach einem Plattenhandschuh mit Ziselierungen. Hauchdünne Drähte wanden sich um das Metall, knisternde Funken sprangen darüber hin.
»Nur zu, der Herr«, sagte der Verkäufer und lächelte, dass man seine vorstehenden Zähne noch deutlicher sehen konnte.
»Das brauchen wir nicht«, stellte Antonio fest. Er hielt ein Stück Stoff in der Hand und zog Nando ein wenig von dem Stand fort. »Dieser Umhang passt dir, ich werde den Verkäufer suchen, vermutlich treibt er sich wie immer irgendwo herum. Du wartest hier, hast du verstanden? Mit deiner Neugierde hältst du mich nur auf, und wir sollten nicht zu lange hierbleiben. Für gewöhnlich werden diese Märkte stets auf eher unliebsame Art beendet, und das kann uns momentan gar nicht recht sein. Du bleibst hier stehen – genau hier, verstanden?«
Er sah Nando eindringlich an und verschwand in der Menge. Tatsächlich blieb dieser für
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