Neptuns Tochter 1
was . . .«, stammelte sie.
Mika sah Besorgnis in Timeas Augen. Keine Wut; sondern ehrliche Sorge. Und sie hatte zum ersten Mal Mika gesagt. Und wie sie das gesagt hatte. So gefühlvoll. Vielleicht könnte Mika ihren Namen aus Timeas Mund aufnehmen und auf ihren iPod übertragen. Dann könnte sie ihn sich den ganzen Tag via Kopfhörer anhören. Und das Kribbeln auf der Haut würde nie mehr enden.
Die Idee hatte was. Obwohl . . . es könnte auf Dauer anstrengend sein, mit einem Dauerkribbeln durch die Gegend zu laufen. Mika schaute an sich hinunter. Vor allem, wenn ihr Körper so offensichtlich darauf reagierte. Rasch verschränkte sie die Arme vor der Brust und verzog schuldbewusst das Gesicht. »Heute ist irgendwie nicht mein Tag«, entschuldigte sie sich bei Timea.
»Und sonst ist da nichts?«
»Nein.« Mika begutachtete ihre Hände. »Ähm . . .«
»Ja?«
»Wenn . . . Sie haben mich gerade beim Vornamen genannt . . .«, stotterte Mika.
»Stimmt«, erkannte Timea. »In dem Fall ist es nur gerecht, wenn Sie das bei mir auch tun.« Sie überlegte kurz. »Vielleicht sollten wir uns überhaupt duzen?«
»Buh.« Mika wischte sich über die Stirn. »Ich habe schon befürchtet, dass das bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag so weitergeht. Das mit Frau Illay hier und Frau David da, meine ich.«
Timea stand auf, trat vor Mika und reichte ihr die Hand. »Also, Mika . . .«
Mika ergriff die Hand und umschloss sie fest. »Also, Timea . . .«
Stille. Die Welt hörte auf sich zu drehen, als Mika in Timeas Augen versank. Ihr Körper bestand nur noch aus einem einzigen Sinn – dem Sehen. Alles andere war verschwunden. Die Ewigkeit wurde zu einem Augenblick, Sekunden dehnten sich in die Unendlichkeit aus.
Das schrille Läuten des Telefons holte Mika mit aller Brutalität in das Hier und Jetzt zurück.
Blitzschnell zog Timea ihre Hand zurück und eilte wortlos in ihr Büro.
»Warum konnte dieser Graham Bell nicht irgendetwas anderes erfinden?«, grummelte Mika enttäuscht. »Musste es ausgerechnet das Telefon sein?« Sie setzte sich hin, nahm Timeas Tasse und trank sie leer. Das beruhigte Mika irgendwie. »Brieftauben sind viel leiser«, überlegte sie laut. »Oder E-Mails . . .«
Das Schließen einer Tür unterbrach Mika. Sie lauschte, hörte Schritte im Flur. Timea trat in die Küche. Ihre Haltung war wie gewohnt, kalt und abweisend. »Zieh die Tür hinter dir zu, wenn du gehst«, sagte sie. »Ich muss weg.«
Wie ein Soldat drehte sie sich um und ging hocherhobenen Hauptes hinaus.
Was für ein Glück, dass ich eben keine allzu großen Gefühle bekommen habe, dachte Mika sarkastisch. Dann bräuchte ich nämlich jetzt eine kalte Dusche. Sie ging ins Bad und schüttete sich mehrmals eiskaltes Wasser ins Gesicht. Das half.
Zurück im Kaminzimmer öffnete sie erst einmal die Fenster. Sie brauchte frische Luft. »Was macht der denn hier?« Mika kniff die Augen zusammen, als sie Gernot Hampf auf das Haus zukommen sah.
Bevor er die Klingel drücken konnte, öffnete Mika ihm schon die Tür. Er wirkte irgendwie ertappt, setzte aber sofort ein joviales Lächeln auf. »Chantal«, sagte er, »ich habe gehofft, Sie hier anzutreffen.«
»Ehrlich?« Mika stellte sich breitbeinig in die Tür. Sie hoffte, dass sie Gernot Hampf damit den Blick auf das Hausinnere verstellte. So gut das mit ihrer Körpergröße eben möglich war.
»Ja«, bestätigte ihr Ex-Chef. »Ich habe Ihnen doch erzählt, dass ich mir Sorgen um Timea mache. Vielleicht finde ich in Ihrem Büro etwas, womit ich ihr helfen kann. Sie haben bestimmt nichts dagegen, wenn ich mal einen Blick hineinwerfe.«
»Ich nicht«, sagte Mika. Sie unterdrückte den Drang, ihre Hände zu Fäusten zu ballen. »Aber bei Timea bin ich mir da nicht sicher.«
»Aber Sie . . .«
»Hören Sie, Gernot«, fiel Mika ihrem Ex-Chef ins Wort. »So gern ich Ihnen helfen würde – und ich weiß, dass Sie es nur gut meinen – aber ich darf Sie nicht ins Haus lassen.« Mit einem erzwungenen Lächeln griff Mika nach der Tür und ließ sie vor Gernots Nase zufallen.
~*~*~*~
E s war, als hätte es die letzten Tage nicht gegeben. Die gemeinsamen Pausen fanden nicht mehr statt. Mika war die meiste Zeit allein, Timea verließ ihr Arbeitszimmer kaum noch.
»Es reicht!« Mika stand auf und betrat ohne anzuklopfen Timeas Büro.
Die löste ihren Blick nicht von den Papieren vor sich. »Ja?«
»Hast du keine Kunden oder irgendetwas in der Art?«, fragte Mika genervt.
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