Neptuns Tochter (Gesamtausgabe)
Park angekommen setzte sich Mika auf eine Bank, zog Schuhe und Strümpfe aus und krempelte die Hosenbeine bis zur Hälfte der Waden hoch.
»Oh ja«, flüsterte sie, als sie den rechten Fuß in das von der Sonne gewärmte Gras setzte. Der linke folgte. Es fühlte sich wunderbar unter den nackten Füßen an. Mika machte bewusst kleine Schritte, um es richtig auskosten zu können.
Klar hätte sie dafür auch mehrere Runden drehen können; das wäre aber nicht dasselbe gewesen. Wer drehte sich schon gern im Kreis?
Ihr Lieblingsbaum war zum Glück nicht besetzt.
Sie ließ sich davor auf den Boden fallen, zog die Beine an und lehnte sich mit geschlossenen Augen an den Baumstamm. Sich im Kreis zu drehen war vielleicht schlecht. Aber war es besser, wenn man gar nicht von der Stelle kam?
»Ich bin doch von der Stelle gekommen. Sonst wäre ich nicht hier«, murmelte Mika.
Diese Frage war demnach geklärt. Auch kleine Schritte brachten einen ans Ziel.
Die nächste Frage war etwas komplizierter. Kinder? Mikas Vater machte ständig Andeutungen in diese Richtung. Er erwartete Enkel. Auch Franks Vater drängte darauf, damit der Name Schöffen fortbestehen konnte.
Das Dumme war nur, dass sich Mika bis jetzt überhaupt keine Gedanken gemacht hatte, wie ihr Verlobter das sah. Er musste nur eine gewisse Zeit verheiratet sein, weil sein Vater das zur Bedingung gemacht hatte. Ohne Trauschein keine Auszahlung des Treuhandfonds. Aber womöglich kam Frank auf die absurde Idee, Kinder zeugen zu wollen.
Die Rinde des Baumstammes scheuerte an Mikas Hinterkopf – so energisch verneinte sie die unausgesprochene Frage. Frank und ich sind uns einig. Heirat – ja. Ansonsten läuft da nix.
Mika schaute an sich hinunter. »Das hier«, unterstrich sie, »ist einzig und allein für Timea bestimmt.« Mit ihr konnte sich Mika durchaus Kinder vorstellen. Irgendwann. Sobald diese störrische Frau damit aufhörte, vor ihren Gefühlen davonzulaufen.
Grinsend wackelte Mika mit den Zehen. Sie ist aber langsamer geworden in den letzten Tagen , stellte sie fest und erinnerte sich an das letzte Gespräch. Als Timea leise erzählt hatte, wie es für sie gewesen war, als ihre Eltern so mir nichts dir nichts nach Amerika ausgewandert waren. Und sie, Timea, sich um alles allein hatte kümmern müssen.
»Jetzt läute endlich«, beschwor Mika das Handy und zuckte erschrocken zusammen, als es das wie auf Befehl tat. Das führte dazu, dass ihr das Telefon zum zweiten Mal an diesem Tag aus der Hand rutschte. Sofort versuchte Mika es aufzufangen. Was ihr nicht unfallfrei gelang. Es musste aussehen, als versuchte sie, eine heiße Kartoffel festzuhalten und an ihr Ohr zu pressen.
»Hallo«, brachte Mika etwas außer Atem heraus.
»Alles in Ordnung bei dir?«, fragte Timeas sanfte Stimme.
»Jetzt schon«, flüsterte Mika nun völlig ruhig. Abgesehen vom heftigen Herzklopfen.
»So sehr in Ordnung, dass dir zwei Wörter reichen, um das auszudrücken?«, foppte die Stimme aus dem Telefon.
Mika biss sich auf die Lippen, um nicht zu lachen. »Wie ich sehe, tragen meine Bemühungen langsam Früchte.«
»Sieht so aus«, stimmte Timea zu. »Wenn wir so weitermachen, wirst du in ein paar Jahren sämtliche Subjektive und Prädikate aus deinem Wortschatz gestrichen haben.«
»Weil du sie mir dann geklaut hast«, ergänzte Mika. In diesem Augenblick war es für sie, als würden sämtliche Glücksgefühle der Welt auf einmal durch ihren Körper fließen. Timea hatte von ein paar Jahren gesprochen. Sie dachte an eine fernere Zukunft. Nicht nur an heute. Oder die nächsten Monate. Und irgendwie hatte es sich angehört, als sollte Mika darin eine Rolle spielen.
»Ich will mit dir zusammen sein, Timea«, hauchte Mika ins Telefon. »Heute Nacht.«
»Ja«, kam der Hauch zurück. »In deiner Wohnung?«
Mika nickte.
»Falls du genickt hast«, flüsterte Timea mit einem Lächeln in der Stimme. »Ich kann das von hier aus schlecht sehen.«
Grinsend hielt Mika das Telefon wie ein Mikrofon vor das Gesicht, den Lautsprecher an die Lippen gepresst. »Jaaaa«, sagte sie und drückte sich den Hörer wieder ans Ohr. »Das heißt, in meiner Wohnung. Die Uhrzeit ist egal. Ich werde da sein. Du musst einfach nur kommen.«
»Na dann, Mikaela, werde ich kommen. Wobei ich hoffe, dass es nicht ganz so einfach sein wird«, erwiderte Timea.
»Wenn du darauf bestehst«, sagte Mika rau, »werde ich mir etwas überlegen, um die Sache schwieriger zu gestalten.« Ein paar Ideen hatte sie
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