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Nerd Attack

Nerd Attack

Titel: Nerd Attack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Stoecker
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Prozent der befragten Jugendlichen.
    Das hat mit einem Phänomen zu tun, das Sozialpsychologen kognitive Dissonanzreduktion nennen: Wenn zwischen der eigenen Einstellung oder dem eigenen Wissen und dem eigenen Verhalten ein Widerspruch klafft, neigen Menschen nicht dazu, ihr Verhalten zu ändern, sondern ihre Einstellung. Dissonante Information, also solche, die das eigene Verhalten infrage stellen würde, wird abgewertet, konsonante dagegen aufgewertet. Deshalb kann fast jeder Raucher von einem anderen Raucher berichten – der eigene Opa, ein Onkel, ein Bekannter des Vaters –, der 100 Jahre alt geworden ist.
    Es gibt allerdings einen Hoffnungsschimmer: Menschliches Verhalten lässt sich natürlich durchaus ändern, die Alternative muss nur leicht umsetzbar und attraktiv genug sein. Für die Unterhaltungsindustrie bedeutet das: Wenn es einfacher, bequemer, angenehmer ist, sich ihre Produkte gegen eine gewisse Gebühr zu verschaffen als auf illegale Weise, dann besteht die Chance, dass ihre Kunden diesen Weg auch tatsächlich wählen. Und siehe da: Genau das geschieht, und zwar schon seit Jahren. Zahlen des Bundesverbands Musikindustrie zufolge nimmt die absolute Zahl derer, die in Deutschland Songs aus Tauschbörsen herunterladen, seit Jahren kontinuierlich ab, und die Zahl der Kunden, die Musik bei kostenpflichtigen Download-Plattformen erwerben, kontinuierlich zu – auch wenn der Anteil dieses Marktes am Gesamtumsatz nach wie vor relativ klein ist (CDs brachten in Deutschland 2009 immer noch 80 Prozent des Gesamtumsatzes ein, Downloads nur 8 Prozent). Im Jahr 2009 gab es fast doppelt so viele zahlungswillige Downloader (5,6 Millionen) wie Nutzer illegaler Download-Angebote (2,9 Millionen).
    Zwar hat der Gesamtumsatz der Musikbranche in Deutschland seit der Geburt von Napster von 2,63 auf 1,53 Milliarden Euro abgenommen – doch begonnen hatte der Umsatzrückgang schon vorher. Für die kommenden Jahre sagt das Beratungsunternehmen PriceWaterhouseCoopers der Branche hierzulande keine sinkenden, sondern stagnierende Umsätze voraus. Einige Konzerne, etwa die Warner Music Group, haben auch nach dem Beginn der Tauschbörsenära wachsende Umsätze verzeichnet. Die Rückgänge bei anderen Unternehmen können demnach kaum dem Internet allein angelastet werden. Vielleicht hat der Ex-Universal-Manager Tim Renner recht und das nachlassende Kaufinteresse hatte mehr mit der Qualität der produzierten Musik zu tun als mit den Aktivitäten der Kopierer.
    Heute jedenfalls, zehn Jahre nach Napster, steht fest: Die Branche ist nicht untergegangen, und sie wird es aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht mehr tun. Zu bedenken ist ferner, dass die Branchenverbände äußerst kreativ darin sind, die eigenen »Verluste« durch Privatkopien und Tauschbörsen auszurechnen: Zugrunde liegt stets die Behauptung, jeder kopierte oder illegal heruntergeladene Song wäre ansonsten zum Vollpreis gekauft worden, was natürlich blanker Unsinn ist. Viele Teenager beherbergen auf ihren Festplatten Musiksammlungen, die sie sich mit ihrem Taschengeld niemals hätten leisten können. Die angeblich unterschlagenen Summen in Milliardenhöhe, mit denen die Industrie immer wieder versucht, sich zu tragischen Opfern der Digitalisierung zu stilisieren, sind deshalb mit viel Vorsicht zu genießen. Generell muss man sagen: Die Branche hat mit ihrem aggressiven Vorgehen gegen die eigene Kundschaft hervorragende Werkzeuge zur Reduktion kognitiver Dissonanz bei den Tauschbörsennutzern geliefert – und gleichzeitig zahlende Kunden verprellt. Es lässt sich eben niemand gern wie ein Dieb behandeln.
    Menschen sind, das ist die Lektion von iTunes, durchaus auch im Internetzeitalter bereit, für Musik, Filme und andere Unterhaltung zu bezahlen. Allerdings müssen eben, wie immer, der Preis, der Service und die Qualität stimmen. Die Filmbranche ist gerade dabei, den gleichen Fehler zu wiederholen, den die Musikbranche beging: Sie macht ihren Kunden im Netz kein besseres, sondern ein schlechteres Angebot. In den Online-Videotheken, die Internetprovider wie T-Online oder Spielkonsolenhersteller wie Sony und Microsoft ihren Kunden anbieten, sind Filme derzeit nicht etwa preiswerter auszuleihen als in einer Videothek, sie kosten mehr. Was reichlich widersinnig erscheint angesichts der Tatsache, dass dazu weder Ladengeschäfte angemietet, noch physische Datenträger hergestellt und um die Welt verschifft werden müssen. Wer seine eigene Kundschaft nicht ernst nimmt,

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