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Nerd Attack

Nerd Attack

Titel: Nerd Attack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Stoecker
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einer unendlichen Schleife von Selbstbezügen miteinander kommunizieren.« Im Web von heute, so Keen, »in dem alle Stimmen gleich viel gelten, zählt das Wort des Weisen genauso viel wie das Gestammel des Idioten«. Beide, Keen und Lanier, warnen immer wieder vor dem »Mob«, dem das Netz zu noch mehr Macht verhelfen werde.
    Man muss den beiden Autoren vermutlich zugute halten, dass ihre Ansichten eine direkte Reaktion auf allzu engen Kontakt mit einigen der Prediger des weltverbessernden Netzes sind. Beide haben beispielsweise den »Wired«-Gründungsschef Kevin Kelly und seine Kumpel aus alten Hippietagen als Gegner identifiziert. Beide waren einst selbst Teil dieses Clubs, gehörten selbst der Tech-Elite des amerikanischen Westens an. Nun warnen sie vor dieser Gruppierung, die Keen heute eine »Sekte« nennt und der Lanier quasi-religiöse Motivationen unterstellt: die alte Allianz aus Hippies, Hackern und Unternehmern, die Vertreter der »kalifornischen Ideologie«, die das Silicon Valley noch immer im Griff haben. Ließe man diesen Menschen freie Hand, so ihre Warnung, würde das Internet unsere Individualität, unsere Kultur, das Wahre, Gute und Schöne nach und nach vernichten. Vielleicht würden Lanier und Keen die Entwicklung als weniger bedrohlich erleben, wenn sie einmal mit den Nutzern der im Netz verfügbaren Dienste sprechen würden, nicht nur mit ihren Vermarktern und Missionaren.
    Tatsächlich ist die Mashup-Kultur die vermutlich breiteste Aneignungsbewegung in der Geschichte. Privates und professionell Erstelltes wird eins. Alles ist Rohmaterial. Die erste Stufe der weltvernetzten Gesellschaft, in der jeder zum »Content Provider« werden konnte, war die Ära der privaten Webseiten. Dann kamen die Blogs. Als Napster und seine Nachfolger schließlich den Boden für Breitbandverbindungen überall in der westlichen Welt bereitet hatten, wurden die im Zuge der Digitalisierung entstandenen elektronisch gespeicherten Bilder, Klänge und Videos selbstverständlicher Bestandteil des globalen Unterhaltungs-Informations-Mischmaschs. Es ist, als ob die Schere-und-Papierkleber-Freiheit unserer Schülerzeitungsproduktion aus den Achtzigern sich nun auf alles erstreckt, was da draußen an medialen Inhalten herumschwirrt. Ein globales Kunstprojekt — und ein Albtraum für all jene, die mit den Urheberrechten an diesen Inhalten Geld verdienen wollen. Oder? Man kann es auch anders sehen: Jeder Kontakt mit einem Schnipsel im Rahmen eines Mashups führt dem Original womöglich neue Leser, Zuschauer, Hörer zu. Mit Sicherheit hat Danger Mouse mit seinem »Grey Album« dafür gesorgt, dass sich so mancher Hiphop-verrückte Teenager zum ersten Mal das »White Album« besorgt und angehört hat. Dass die Beatles verschwinden, weil sich jemand ihr Werk für einen Remix angeeignet hat, steht nicht zu befürchten.
    Der nächste Schritt ist bereits getan: Nicht nur Multimediales lässt sich neu abmischen, sondern auch die pure Information selbst. Webseiten-Mashups verknüpfen Daten verschiedener Informationsquellen, allen voran Google Maps: Es gibt Seiten, die Wikipedia-Einträge mit den passenden Orten auf einer interaktiven Karte zusammenbringen oder Reisereportageseiten, die Texte und Fotos über den Globus verteilen und dabei die Leserschaft tippgebend an der weiteren Planung teilhaben lassen. Auf einem Stadtplan von New York kann man alle verfügbaren Verkehrskameras anklicken und sich Live-Bilder ansehen (und dabei dem New Yorker Polizeifunk lauschen, wenn man das möchte).
    Die Großen des Netzes haben längst verstanden, dass die Netz-Remixer ihnen am Ende nur nutzen können. Google, Amazon, eBay, Yahoo, Facebook und Twitter – alle stellen ihre »Application Programming Interfaces« (APIs) Entwicklern zur Verfügung. Wer sich als Entwickler registriert, darf mit Google Maps herumspielen oder eine Anwendung entwickeln, über die man von seinem Handy aus auf Twitter zugreifen kann. Wer nicht programmieren kann, für den gibt es für einfache Mashups sogar Online-Editoren. Natürlich kommt dabei oft auch eine Menge Unsinn heraus, aber um es mit Burroughs zu sagen: »Es gibt keine Notwendigkeit, alles zu verwenden.«
    Auch der Transport von Information, die Art, wie sich das Alte, aber Interessante, das Neue und die Remixe, Kommentare und Meta-Kommentare im Netz verbreiten, hat sich innerhalb der letzten Jahre einmal mehr radikal verändert. Zum einst neuen und so beglückenden Kommunikationswerkzeug E-Mail ist eine

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