Nero
Er kannte den Mann; es war einer seiner getreueren. Der Name allein hätte dem Cäsar dafür gebürgt, daß kein Wort in diesen Aufzeichnungen gefälscht war. Zudem brauchte er ja nur selber, wie Poppäa hervorhob, die Verhafteten zu befragen, um die leiseste Abweichung ihrer Aussagen von der Niederschrift sofort zu entdecken.
In der That, gefälscht war nur der kurze Brief der Octavia, aber so meisterhaft, daß der Kaiser sein Haupt für die Echtheit des Aktenstückes verpfändet hätte.
»Sie muß sterben!« rief er, die knisternden Blätter mit der Rechten zusammendrückend.
Dann tief Atem holend: »Sprich: wo hältst du die Schandgesellen verwahrt?«
»Drüben am vierten Hofe in einer der Sklavenkammern.«
»So führe mich hin! Horch, da erhebt sich der Wind! Das rechte Wetter für so grauenhafte Erlebnisse! Wie das jammert und heult! Mich dünkt, ich höre das Todesröcheln der Agrippina.«
Diesmal siegte Poppäa vollständig. Anicetus, den sie mit ungezählten Millionen erkauft hatte, nahm in demutsvoller Zerknirschung den Faustschlag des Imperators entgegen, schluckte die drei zerschmetterten Zähne ruhig hinunter und ließ sich, Dank stammelnd, nach der kaiserlichen Trireme bringen, die ihn trotz der stürmischen Witterung noch desselbigen Tages von dannen führte. Seine Spießgesellen begleiteten ihn. Poppäa hatte dem Imperator bedeutet, er könne, wenn er gerecht sein wolle, die Werkzeuge des Anicetus nicht härter bestrafen, als diesen selbst. Da er sich weigerte, raunte sie ihm ins Ohr, wenn er sie liebe und fürder Verlangen trage, sie in die Arme zu schließen, so werde er diesem Grundgesetz aller Billigkeit Rechnung tragen. Für Octavia jedoch erwirkte die wutbeseelte Rivalin ein Todesurteil. Halb gewährend und halb versagend, hatte ihre schamlose Koketterie ihn so lange umschmeichelt, bis er, von ihrem Zauber entflammt und durch den ätzenden Spott über das Zögern des ›zweiten Otho‹ in tiefster Seele verwundet, das längst bereit gehaltene Dokument unterzeichnete.
Achtes Kapitel
Octavia saß mit einer Sklavin im Oecus und lauschte der Vorlesung eines Briefes, den der geheimnisvolle Apostel Paulus schon vor Jahren aus Philippi in Thracien an die Nazarenergemeinde zu Korinthus gerichtet.
Das ehrwürdige Dokument, um seiner schlichten, herzbewegenden Innigkeit willen höher geschätzt, als viele andre Episteln des unermüdlichen Christusverkünders, war in zahlreichen Exemplaren vervielfältigt worden und befand sich in den Händen fast sämtlicher Nazarener, die lesen konnten.
Die Sklavin, vor dritthalb Jahren getauft, ein zwanzigjähriges Mädchen aus Argolis, legte in die ergreifenden Worte, die sie der Kaiserin vortrug, allen Wohlklang ihrer melodischen Tiefstimme, alle Glut ihres Glaubens.
Octavia, die bis dahin stets nur mit einer staunenden Neubegier, und noch halb widerstrebend, den Thaten und Worten des großen Apostels gefolgt war, und, aller Teilnahme für die Lehren des Nazarenertums ungeachtet, im Innern festhielt an der stillen, altrömischen Ehrfurcht vor dem gewaltigen Jupiter, fühlte zum erstenmal das Wehen eines allbesiegenden Geistes, da die Sklavin nach kurzer Pause jetzt fortfuhr:
»Wenn ich mit Menschen- und Engelszungen rede, und habe die Liebe nicht, so bin ich ein tönendes Erz und eine klingende Schelle.
Und wenn ich weissagen kann und alle Geheimnisse weiß, und jede Erkenntnis habe und allen Glauben, so daß ich Berge versetze, und habe die Liebe nicht, so bin ich ein Nichts.
Und wenn ich all mein Besitztum den Armen schenke, und meinen Leib dahingebe, auf daß er verbrenne, und habe die Liebe nicht, so kann mir's nicht frommen.
Die Liebe ist langmütig und freundlich; die Liebe eifert nicht. Die Liebe treibt nicht Mutwillen; sie ist nicht hoffärtig.
Sie ist nicht ungebärdig; sie suchet nicht das Ihre; sie läßt sich nicht erbittern; sie trachtet nicht nach Verderblichem.
Sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit; sie freuet sich aber der Wahrheit.
Sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.
Die Liebe endet nicht . . .«
»Phöbe,« unterbrach hier Octavia die Sklavin, »ich bitte dich! Eine Sekunde nur laß mir Zeit.«
Die junge Fürstin hatte die Hand fest auf die Augen gepreßt.
»Die Liebe endet nicht . . .« wiederholte sie langsam. »Sie sucht nicht das Ihre; sie trägt alles . . . Noch einmal, Phöbe! Diese Stelle noch einmal . . .!«
Phöbe gehorchte. Die Augen starr auf das mildverklärte
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