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Nero

Nero

Titel: Nero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Eckstein
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dies nicht. Es erfüllte ihn zwar mit jener heiligen Pietät, die wir den Toten widmen; dieser Pietät aber gesellte sich eine dumpfwühlende Trauer, die ihn stets von neuem zu Boden drückte.
    Unseliges Rätsel!
    Welcher boshafte Dämon hatte ihm den Stern seines Daseins geraubt? Und wie und warum? Er fand keine Antwort auf diese Fragen, und Nicodemus, der doch wenigstens um die Ursache des Verhängnisses wußte, hielt es für angemessen, zu schweigen.
    Die Schritte des Imperators und seines Staatsministers hallten beinahe unheimlich durch das verödete Peristylium. Kein Sklave ließ sich hier blicken, kein Soldat selbst der Leibwache. Sie alle fühlten, daß es bei drohendem Sturme geratener ist, ein Obdach zu suchen.
    »Du scheinst über die Maßen verstimmt, Herr,« hub Seneca an, da Nero mit jeder Minute finsterer zu Boden starrte.
    »Vielleicht,« versetzte der Kaiser.
    »So folge dem Rat eines Erfahrenen, der dich liebt und dessen herrlichsten Stolz du ausmachst.«
    Nero seufzte. Der weltmüde Ausdruck seines jugendlichen Gesichtes bot einen merkwürdigen Gegensatz zu der sonnigen Ruhe und Heiterkeit, die über dem Greisenantlitz seines kraft- und zielbewußten Begleiters lag.
    »Wenn du deine Verstimmung beherrschen willst,« fuhr Seneca fort, »so zwinge deine Gedanken, sich auf Dinge zu stürzen, die von dem, was dich heimsucht, himmelweit abliegen!«
    »Das ist leicht gesagt,« gab ihm der Cäsar zurück. »Ixion, aufs Rad geflochten, wird bei aller Philosophie nichts andres zu denken wissen, als seine Schmerzen.«
    »So leidest du, Cäsar? Ich dachte, was du mir angelobt hast, würde dir minder schwer fallen. Sehnst du dich wirklich so sehr nach den Zwiegesprächen mit Tigellinus? Nach den Abenteuern der Straße, der nächtlichen Zechgelage . . .?«
    »Vielleicht auch das. Tigellinus war mir ein trauter Genosse, ein wackerer Freund. Es ist unrecht, daß ich ihn so vernachlässige.«
    »Nach wie vor kannst du ihm deine Huld beweisen: als Genosse freilich ziemt er nicht einem Fürsten, der so Gewaltiges plant und so Hehres . . . Teurer Sohn! Ich begreife ja, daß die Jugend gewisse Rechte fordert . . . Dennoch: die Größe des Fürsten, sei er noch so jung und so blühend, beruht in der Mäßigung. Du bringst ja freilich ein Opfer, wenn du streng nach den Grundsätzen herrschest, die ich entworfen und die du gebilligt hast: aber dies Opfer ist unerläßlich, wenn du erfüllen willst, was du dir vorgesetzt: die Befreiung der Menschheit. Niemand traut dir ein Herz zu für die Leiden des Volkes, falls du selber in rastlosem Genusse dahin schwelgst.«
    »That ich dies?« fragte der Cäsar bitter.
    »Wahrlich, nein! Das überließest du den Senatoren und den Emporkömmlingen, die grinsend im Golde wühlen, während die Armen und Elenden kaum ihre Blöße decken.«
    »Nun also! Wessen klagst du mich an?«
    »Ich wollte nur sagen: wenn du die Aufgabe willst, so darfst du auch ihre Schmerzen nicht scheuen: weder die Schlichtheit deines Privatlebens, noch das Staunen ehemaliger Freunde; weder die Vorwürfe deiner Gemahlin Octavia, noch selbst den ewig nagenden Groll Agrippinas . . .«
    »Hab' ich mich schwach gezeigt in dieser Beziehung?«
    »Du hast deine Pflicht gethan, soweit es dir möglich war. Trotz alledem hört man Stimmen, die da behaupten, daß es für das Gemeinwesen vorteilhafter und des römischen Imperators würdiger wäre, wenn er die Kaiserin-Mutter von den Staatsgeschäften etwas zurückdrängen wollte.«
    »Das sagt mir Seneca, der mit Agrippina gemeinsam den Claudius Nero erzogen hat?«
    »Du verzeihst meine Kühnheit: aber ich kann nicht anders. Gerade die edelsten Männer teilen hier meine Ansicht. Vorläufig hat sich ja alles noch ziemlich nach Wunsch geordnet: aber ich fürchte, es wird eine Zeit kommen, da uns just Agrippina die Straße verlegt. Sie ist ganz und gar die Verkörperung jener unphilosophischen Weltanschauung, die wir befehden. Wo wir Gleichheit und Gerechtigkeit wollen, gräbt sie die Kluft zwischen reich und arm, vornehm und niedrig, frei und geknechtet zum unausfüllbaren Abgrund aus. Ohne die nazarenische Lehre zu kennen, ist sie ihre glühendste Gegnerin . . .«
    Der Kaiser blieb stehen.
    »Seneca,« sprach er mit seltsam gepreßter Stimme, »glaubst du im Ernste, daß unsre Epoche schon reif ist für die Riesenpläne des Nicodemus?«
    »Reif? Wird denn die Alltagsmenge jemals reif zu einer großen geschichtlichen Wandlung? Nur die denkende Minderzahl arbeitet

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