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Nero

Nero

Titel: Nero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Eckstein
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  Selbst die entseelte Natur bezaubert.«
 
     
    Glückliche Zeit!
    Er fetzte sich jetzt, nahm eines der gelblichen Blätter, tauchte die Rohrfeder ein und schrieb wie folgt:
     
    »Claudius Cäsar Nero an seine erlauchte Mutter,
die hochmögende Agrippina.
    Ich schwebe hier zwischen Leben und Tod.
    Mutter, hast Du mich je geliebt, so löse mir dies entsetzliche Rätsel!
    Ich habe Boten entsandt zu Tausenden: aber ich ahne, sie werden zurückkehren, ohne die leiseste Spur der Geliebten entdeckt zu haben. Du bist zu groß, zu gewaltig. Niemand vermag zu siegen, wenn Du ihm die Fehde beutst . . .
    Mutter, ich will Dich auf Händen tragen mein Leben lang, wenn Du mich nur zum wenigsten über ihr Schicksal beruhigst. Fast schon zweifle ich ja, daß sie noch lebt. Ach, und ich habe sie lieb gehabt, maßlos, über alle Vernunft!
    Mutter, gib mir sie wieder!
    Bei der Asche meines vielteuren Vaters Domitius beschwöre ich Dich!
    Kannst Du denn gar nicht mitempfinden, wenn ich Dir sage, daß ich sie liebe?
    Mutter, die Antwort, die ich von Dir erbitte, wird Cassius, mein Sklave, so schnell es angeht, zurückbringen. Zögere um keinen Preis, ich beschwöre Dich! Laß ihm ein frisches Pferd satteln! Sage mir, daß ich noch hoffen darf! Jupiter schütze Dich!«
     
    Nachdem er dies Schreiben umschnürt und gesiegelt hatte, ward er ein wenig ruhiger.
    Er rief den Sklaven herein, erteilte ihm die nötigen Befehle und nahm dann einiges von dem Mahle, das nur aus Milch, Weizenbrot und einer Platte von Thunfischgarum bestand. Ihm wollte nichts munden; die Kehle war ihm wie zugeschnürt.
    Nun warf er sich in den üppigen Armsessel. Er zählte die Blumen auf dem syrischen Teppich zu seinen Füßen; dann blickte er wieder ausdruckslos nach der schön kassettierten Zimmerdecke, als wisse er weder von sich noch seiner Umgebung.
    Die Zeit bis zur Rückkehr des Cassius dünkte ihm eine Unendlichkeit.
    Ach, und immer wieder die dumpf-beklemmende Angst wegen Acte! . . . Es war heute der dritte Tag, daß er den wonnigen Mund nicht geküßt hatte, der ihm bei jeder Begegnung so viel Liebes und Gutes gesagt . . . Ihre letzte himmlisch-süße Umarmung! . . . Hätte ein Gott ihm vorausgesagt, was da wenige Stunden später erfolgen sollte! Vielleicht war es die letzte für dieses Leben! Ein gespenstisches Vorgefühl schien ihm zuzuraunen: ›Ja, wahrhaftig, die letzte!‹ Er würde also nie, nie wieder so froh, so reich und so selig sein . . .
    Grausiges Schrecknis! Was war ihm die weite Welt, wenn Acte sie nicht mit ihrem strahlenden Lichte erfüllte? Selbst des neuerwachenden Lenzes hatte er sich nur um ihretwillen erfreut; – die Rosen hatten nur darum so verlockend geduftet, weil Acte sie mitgenoß; jedes flammende Abendrot, das ihm das Herz aufwärts trug in das Reich poesievoller Träume, war nur deshalb so göttlich, weil er vom glutüberströmten Himmel die Blicke hinwegwenden konnte in Actes tiefschwarze Augensterne, wo sich der lodernde Brand des Gewölkes so zauberisch widerspiegelte. Wenn sie dann eins ihrer schmelzenden Lieder sang: ›Uranos, Vater des Alls . . .‹ oder: ›Helios, senkst du die Zügel und steigst zum Okeanos nieder . . .‹ – dann hatte auch er wohl zur Kithara gegriffen . . . Ihre Stimmen vermischten sich in freundlicher Harmonie, die Erde schien so hehr und so frühlingsgrün, das Palatium mit seinen weltgeschichtlichen Forderungen so ferne, daß Nero meinte, in dieser sanften Verzückung sterben zu müssen, wie eine Welle, die sich im Meer verliert. Ja, – das war die Liebe, das war das Glück . . .! Und jetzt?
    Er stand auf und öffnete eines der Ebenholzkästchen, die, auf langen Bronzegerüsten nebeneinander gereiht, die Rollen seiner Handbibliothek enthielten. Behutsam holte er das kunstvoll geschriebene, mit leuchtendem Rotschnitt versehene Exemplar seines hellenischen Lieblingsdichters hervor.
    Wie oftmals hatte er, Schulter an Schulter mit Acte, die unsterbliche Epopöe von der Heimkehr des Dulders Odysseus durchblättert, und sich schönheitsberauscht dahintragen lassen auf den Fluten dieser unvergleichlichen Melodien!
    Welche trostlose Wandlung! Oede und traurig starrten ihm jetzt die Verse entgegen, die ihm damals die Seele mit Schauern des Vollgenusses und der Bewunderung durchrieselt hatten.
    Und Cassius kehrte immer noch nicht zurück!
    Er las und las, um diese Ungeduld zu betäuben . . . Nun ward ihm plötzlich zu Sinne, als gebe es nur ein einziges Mittel, die

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