Nervenflattern
es bei Hain getan hatte. Etwas sagte ihm noch immer, dass dieses Schreiben einen Hinweis enthielt, aber solange er sich nicht sicher war, wollte er nichts mehr dazu sagen.
»Feierabend!«, frohlockte Wagner. »Ich bin müde und freue mich auf meine Badewanne.«
25
Lenz griff zum Telefon und reservierte bei der Carsharing-Agentur einen Wagen für den Abend. Dann wählte er eine Nummer im Präsidium.
»Driessler«, hörte er die Stimme der Psychologin.
»Hallo, Frau Dr. Driessler. Hier ist Hauptkommissar Lenz.«
Helga Driessler brauchte eine Sekunde, um dem Namen und der Stimme am Telefon ein Gesicht zuzuordnen.
»Guten Tag, Herr Lenz.« Sie klang erstaunt.
»Ich hoffe nicht, dass Sie unseren Termin am Mittwoch absagen wollen?«
»Ich würde Sie gerne sprechen; wenn es möglich ist, noch heute.«
Sie überlegte kurz.
»Kommen Sie sofort, wenn es Ihnen passt, ich kann mir jetzt ein paar Minuten Zeit für Sie nehmen.«
Auf dem Weg zu ihr fragte Lenz sich, wo der Impuls in ihm, das Schreiben mit ihr zu besprechen, herrühren konnte, fand aber keine Antwort. Fünf Meter vor ihrer Bürotür klingelte sein Telefon. Hain war dran und kündigte seinen Feierabend an.
»Außerdem habe ich mit Ludger telefoniert«, erklärte er Lenz, »er kommt morgen wieder zur Arbeit.«
»Gut, dann sehen wir uns morgen früh.«
Die Psychologin bot ihm den gleichen Stuhl an wie bei seinem letzten Besuch.
»Also, was kann ich für Sie tun?«, fragte sie ohne Umschweife, noch bevor er sich gesetzt hatte.
Er nahm den von Hain geschriebenen Zettel aus der Jacke und gab ihn ihr.
»Sicher haben Sie davon gehört, was heute Morgen in den Redaktionsräumen der HNA los war«, begann er vorsichtig.
»Hier ist der Text des Schreibens, das wir in dem Päckchen gefunden haben.«
Die Psychologin nickte, nahm den Zettel und las.
»Hm«, machte sie, nachdem sie den Text zum zweiten Mal gelesen hatte. Lenz sah sie erwartungsvoll an.
»Wenn Sie eine Einschätzung von mir wollen, wer oder was sich hinter diesem Zeug verbirgt, müssen Sie mir etwas mehr von den Ereignissen heute Vormittag erzählen.«
Das kann ich doch auswendig, dachte Lenz, und berichtete auch der Psychologin, was sich am Vormittag abgespielt hatte. Und er berichtete ihr über die Erkenntnisse im Jugendamt.
»Unter uns«, begann sie zögernd, »und natürlich ohne jegliche Gewähr sage ich Ihnen, dass der Täter oder die Täterin erwischt werden will. Aber ich würde Stein und Bein schwören, dass ich das nie so ausgedrückt habe.«
Er sah sie verwirrt an.
»Nicht nur Sie werden von den Kollegen aus Wiesbaden an der kurzen Leine gehalten, Herr Lenz. Nachdem die Herren erfahren haben, dass Sie mich zu der ersten Besprechung letzte Woche hinzugezogen hatten, wurde ich zu einem Gespräch gebeten. Dabei wurde mir klargemacht, dass ich ab sofort mit diesem Fall nichts mehr zu tun habe und auch keine Statements mehr abgeben darf. Daran halte ich mich selbstverständlich.«
Sie grinste ihn an.
»Informell darf ich mich natürlich mit Ihnen über alles unterhalten. Zumal man im Haus gerüchteweise hört, dass die Zusammenarbeit zwischen Ihren Leuten und den Herren vom BKA nicht immer ganz reibungslos verläuft.«
»Es war schon schlimmer. Aber Sie haben recht, die Zusammenarbeit klemmt an manchen Stellen spürbar.«
Er deutete auf den Zettel, den sie noch immer in der Hand hielt.
»Rein informell: Wie meinen Sie das, der will erwischt werden?«
»Zunächst einmal glaube ich nicht an eine Tätergruppe. Die Art des Vorgehens, die Briefe, die Morde. Mein Gefühl sagt mir, das ist das Werk eines einzelnen Menschen.«
»Belegt durch …?«
»Sie haben mich nach meinem Eindruck gefragt.«
»Mann oder Frau?«
»Keine Ahnung. Aber ich würde, wegen der technischen Finessen und der Kaltblütigkeit bei den Morden, auf einen Mann tippen.«
Sie wedelte mit dem Zettel.
»Und dieser Quatsch hier sagt mir, der hat eine Botschaft, die er aber erst preisgeben will, wenn er erwischt wurde. Sehen Sie, wenn einer Forderungen stellt, wie der hier nach der Absage der Documenta, will er jemandem schaden. Aber wem würde eine Absage der Ausstellung schaden? Sicher der Stadt, deswegen glaube ich, dass Sie an dieser Stelle ermitteln müssen. Vielleicht trifft es auch die Geschäftsleute, aber nach dem, was ich so gehört habe, wäre das ein überschaubarer Schaden. Dummerweise leben wir in einer so kranken Welt, dass schon ein nichtiger Anlass ausreicht, um einen Menschen zu einer
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