Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
sagte er. »Ic h wollte Sie nicht bele idigen.«
Der alte Chauffeur blickte an ihnen vorbei und tat so, als hörte er ihn nicht. Harry stand auf.
»Wir werden jetzt gehen. Ich habe gehört, dass Sie Grieg mögen. Deshalb habe ich die hier mitgebracht.« Er hie lt ihm eine Kassette hin. »Das ist die C-Moll-Symphonie von Grieg.
Sie wurde erst 1981 uraufgeführt, weshalb ich dachte, dass Sie die vielleicht noch nicht haben. Jeder, der Grieg mag, sollte die haben. Bitte.«
Sanphet stand auf, nahm sie verwundert an und blieb auf die Kassette starrend stehen.
»Auf Wiedersehen«, sagte Harr y, machte einen linkischen, aber gut gem einten wai- Grußund gab Nho ein Zeichen zum Aufbruch.
»Warten Sie«, sagte der Alte. Sein Blick war noch immer auf die Kassette geheftet. »Der Bo tschafter war ein guter Mann.
Aber er war kein glücklicher Mann. Er hatte eine Schwäche. Ich will sein Andenken nicht besudeln, aber ich f ürchte, dass er bei den Pferdewetten mehr verloren als gewonnen hat.«
»Das tun die meisten«, sagte Harry.
»Aber nicht 5 Millionen Baht.«
Harry versuchte, im Kopf nachzurechnen. Nho kam ihm zu Hilfe.
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»Hunderttausend Dollar.«
Harry pfiff. »Tja, konnte er sich das denn leisten?«
»Er konnte es sich nicht leiste n«, sagte Sanphet. »Er hat sich das Geld von einigen Kredithaien hier in Bangkok geliehen. Sie haben ihn in der letzten Woche mehrmals angerufen.«
Er sah Harry an. Es wa r schwierig, die asiatischen Augen zu deuten. »Persönlich bin ich der Meinung, dass Spielschulden etwas sind, was m an begleichen muss, aber wenn ihn jem and wegen dieses Geldes ermordet hat, muss er bestraft werden.«
»Der Botschafter war also kein glücklicher Mann?«
»Er hatte kein leichtes Leben.«
Harry kam plötzlich etwas in den Sinn. »Sagt Ihnen Man U
etwas?«
Der Alte sah ihn fragend an.
»Das stand im Kalender des Botschafters am Tag des Mordes.
Ich habe alle Fernsehsender überprüft, aber an diesem Tag
wurde kein Spiel von Manchester United übertragen.«
»Oh, Manchester United«, rief Sanphet lächelnd. »Das ist Klipra. Der Botschafter nannte ihn Mister Man U. Er fliegt nach England, um seine Mannschaft spielen zu sehen, und hat einen Haufen Aktien von dem Club ge kauft. Ein höchst seltsam er Mann.«
»Wir werden sehen, ich werde noch mit ihm reden.«
»Wenn Sie ihn denn erreichen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Man findet Klipra nicht. Er findet Sie.«
Das hat uns ja grade noch gefehlt, dachte Harry. Eine Com ic-figur.
»Diese Spielschulden werfen pl ötzlich ein ganz anderes Licht auf die Sache«, sagte Nho, als sie wieder im Auto saßen.
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»Vielleicht«, sagte Harry. »Ein e Dreiviertelmillion Kronen ist eine Menge Geld, aber reicht das?«
»In Bangkok werden Menschen für weniger getötet«, sagte Nho. »Viel weniger, glauben Sie mir.«
»Ich denke nicht an die Kredithaie, sondern an Atle Molnes.
Der Kerl stammt doch aus einer steinreichen Familie. Er hätte in der Lage s ein müssen zu bezahlen, auf jeden Fall, wen n es wirklich um Leben und Tod ging. Ir gendetwas stimmt da nicht.
Was halten Sie von Herrn Sanphet?«
»Er hat gelogen, als er über di e Empfangsdame, Fräulein Ao, sprach.«
»Oh, warum glauben Sie das?«
Nho antwortete nicht, sondern lächelte nur geheimnisvoll und deutete auf seinen Kopf.
»Was wollen Sie m ir hier sagen, Nho? Dass Sie es wissen, wenn Menschen lügen?«
»Ich habe es von m einer Mutter gelernt. W ährend des Vietnamkrieges hielt sie sich m it Poker im ersten Stock des Soi Cowboy über Wasser.«
»Unsinn. Ich kenne Polizisten, die schon ihr ganzes Leben Menschen verhört haben, und sie a lle sagen das Gleiche: Es ist unmöglich, einen guten Lügner zu durchschauen.«
»Man muss einfach nur Augen im Kopf haben. Man sieht das an Kleinigkeiten. Zum Beispiel, dass Sie den Mund nicht richtig aufgemacht haben, als Sie sag ten, dass jeder, der Grieg m ag, eine Aufnahme dieses Konzertes haben sollte.«
Harry spürte die Röte in seine W angen steigen. »Die Kassette war per Zufall noch in m einem Walkman. Ein australischer Polizist hat mir von Griegs C-Moll-Symphonie erzählt. Ich habe die Kassette als eine Art Erinnerung an ihn gekauft.«
»Es hat auf jeden Fall gewirkt.«
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Nho wich gerade noch einem Lastwagen aus, der auf sie zugedonnert kam.
»Verflucht!« Harry konnte nicht mal mehr schlucken.
»Der war auf der falschen Spur!«
Nho zuckte mit den Schultern. »Der war größer als ich.«
Harry sah auf die Uhr.
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