Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
»W ir müssen ins Präsidium und i ch muss noch zu einer Beerdigung.« M it Schrecken dachte er an die warme Anzugjacke, die im Schrank vor seinem »Büro« hing.
»Ich hoffe nur, dass es in der Kirche eine Klim aanlage gibt.
Was sollte das überhau pt, in dieser Affenhitze draußen auf der Straße zu sitzen? W arum konnte uns der Alte nicht zu sich hereinbitten?«
»Stolz«, sagte Nho.
»Stolz?«
»Er wohnt in einem kleinen Zimmer, das reichlich wenig gemein hat mit dem Auto, das er fährt, oder mit seinem Arbeitsplatz. Er w ollte uns nicht hereinbitten, weil das unangenehm hätte werden können, nicht nur für ihn, sondern auch für uns.«
»Ein seltsamer Mann.«
»Das ist Thailand«, sagte Nho. »Ich würde Sie auch nicht zu mir hereinbitten. Ich würde Ihne n Tee auf der Treppe servieren.«
Er machte eine abrupte Rechts kurve und ein paar dreirädrig e Tuk-Tuks wichen verschreck t aus. Harry hatte d ie Arme automatisch vor sich ausgestreckt.
»Ich bin …«
»… größer als die. D anke, Nho, jetzt hab ich das Prinzip kapiert.«
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KAPITEL 15
»Ein bisschen Qualm und das war’s dann«, sagte Harrys Nebenmann und bekreuzigte sich. Er war ein stattlicher K erl, braungebrannt, mit hellblauen Augen. Harry musste unweigerlich an gebeizte Holzstämme und ausgewaschene Jeans denken.
Das Seidenhemd war am Hals geöffnet und darunter hing eine dicke Goldkette, die matt und fett in der Sonne blinkte. Die Nase war mit einem feinen Netz von Adern überzogen und der braune Schädel lugte wie eine glänzen de Billardkugel unter den schütteren Haaren hervor. Roald Bork hatte wache Augen, die ihn aus der Nähe jünger aussehen ließen als seine siebzig Jahre.
Er redete. L aut und anscheinend nicht im Geringsten davon geniert, dass es sich um eine Beerdigung handelte. Sein Nord-landdialekt hallte unter dem Kirchengewölbe, doch nicht ein Einziger der Anwesenden drehte sich m it zurechtweisenden Blicken um.
Als sie das Krem atorium verlassen hatten, stellte Harry sich vor.
»O je, da hatte ich die ganze Zeit über einen Polizisten neben mir stehen, ohne es zu wissen. Gut, dass ich nichts gesagt habe, das hätte mich teuer zu stehen kommen können.«
Er lachte schallend und streck te ihm eine trockene, knotige Greisenhand entgegen.
»Roald Bork, Rentner.« Die Ir onie erreichte nicht sein e Augen.
»Tonje Wiig hat mir erzählt, dass Sie so ein e Art Vordenker der norwegischen Gemeinde hier unten sind.«
»Da muss ich Sie enttäuschen. Wie Sie sehen, bin ich ein alter, gebrechlicher Mann, kein Leitwol f. Außerdem bin ich durch 117
meinen Umzug ziemlich in die Peripherie geraten, im übertrage-nen wie im buchstäblichen Sinn.«
»Ach ja?«
»In den Sündenpfuhl, das Sodom Thailands.«
»Pattaya?«
»Genau. Dort wohnen noch ein paar andere Norweger, die ich versuche, im Blick zu behalten.«
»Lassen Sie mich direkt zur Sache kommen, Bork. Wir haben gerade versucht, Ove Klipra anzurufen, aber wir haben nur einen Pförtner erreicht, der behauptete, nicht zu wissen, wo Klipra ist oder wann er wiederkommt.«
Bork amüsierte sich. »Das passt zu Ove, ja.«
»Ich habe verstanden, dass er lieber selbst mit anderen Kontakt aufnimmt, aber wir befinden uns hier mitten in einer Ermittlung, und ich habe nur wenig Zeit. W enn ich richtig inform iert bin, sind Sie ein enger Freund von Klipra, eine Art Verbindungsglied zur Außenwelt?«
Bork neigte den Kopf zur Seite. »Ich bin kein Adjutant, wenn Sie das m einen. Aber es stimm t insoweit, dass ich m anchmal Kontakt vermittle. Klipra redet nicht gern mit Menschen, die er nicht kennt.«
»Waren Sie es, der den Kontakt zwischen K
lipra und de m
Botschafter vermittelt hat?«
»Beim ersten Mal, ja. Aber Klip ra mochte den Botschafter, so dass sie m it der Zeit einiges m iteinander zu tun hatten. Der Botschafter stammte ja auch aus Sunnmøre, obgleich er vom Land kam und nicht wie Klipra aus Ålesund.«
»Seltsam, dass er heute nicht hier ist, oder?«
»Klipra ist ständig unterwegs. Er ist seit einigen Tagen nicht ans Telefon gegangen, vermutlich überprüft er seine Anlagen in Laos oder Vietnam und weiß noch nicht einm al, dass der 118
Botschafter tot ist. Die Sache hat ja nicht gerade große Schlagzeilen gemacht.«
»Die gibt es selten, wenn jem and an Herzversagen stirbt«, sagte Harry.
»Und trotzdem ist die norwegische Polizei hier?«, fragte Bork und wischte sich m it einem großen, weißen Taschentuch den Schweiß vom Nacken.
»Routine, wenn
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