Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
sagte Harry durch zusammengebissene Zähne. »Aber hören Sie m ir einen Moment zu.« Harry machte eine Pause und holte tief Luft. Ein Bier, bloß ein Bier. Er schob sich eine Ziga rette zwischen die Lippen und versuchte, den Gedanken beiseite zu schieben.
104
»Wenn Molnes in irgen detwas verwickelt war, wird er sic her nicht der einzige Norweger sein. Ich habe große Zweifel, dass er in der kurzen Zeit, in der er hier ist, so gute Verbindungen zur thailändischen Unterwelt geknüpf t haben kann. Außerdem ist mir zu Ohren gekommen, dass er sich hier in Bangkok größtenteils in norwegischen Kreisen bewegt hat. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass es sich bei den allermeisten dieser Menschen nicht um redliche Bürger handeln würde, aber sie alle ha ben wohl ihre Gründe gehabt, ihr Heimatland zu verlassen, und manche Gründe sind sicher bess er als andere. S chwierigkeiten mit der Polizei sind in der Regel ein ausnehm end guter Grund für eine rasche Em igration in ein Land mit angenehmem Klima und ohne Auslieferungsabkommen mit Norwegen. Haben Sie von dem Norweger gelesen, der in seinem Hotelzimmer in Pataya auf frischer Tat m it diesem Jungen erwischt worden ist?
Titelseiten in den Zeitungen VG und Dagbladet? Die Polizei hier unten liebt so etwas. Da s schafft gute Pressestimm en und die Pädophilen sind leichter zu schnappen als die Heroinbanden.
Gehen wir m al davon aus, dass die thailändischen Behörden bereits jetzt leichte Beute w ittern, aber m it der Bearbeitung dieses Falles warten, bis der Molnes-Fall offiziell abgeschlossen ist und ich wieder abgereist bin, und dass sie in ein paar Monaten einen Kinderpornoring au fdecken, in den Norweger verstrickt sind. W as, glauben Si e, wird dann geschehen? Die norwegischen Zeitungen werden ei ne ganze Horde Journalisten hier herunterschicken, und noch ehe Sie sich umdrehen können, ist der Name des Botschaf ters aufgetaucht. Wenn wir diese Jungs jetzt schnappen, während wir m
it der thailändischen
Polizei zusammenarbeiten und dies e ein gewisses Verständnis für unseren W unsch nach Geheimhaltung haben, können wir einen solchen Skandal vielleicht vermeiden.«
Harry konnte Torhus anhören, dass er die Lage erfasste.
»Was wollen Sie?«
105
»Ich will wissen, was Sie m ir nicht gesagt haben. Was wissen Sie über Molnes? In was war er verwickelt?«
»Sie wissen, was Sie wissen m üssen. Mehr gibt es nicht, ist das so schwer zu verstehen?« Torhus stöhnte. »Was wollen Sie eigentlich erreichen, Hole? Ich da chte, Sie seien ebenso erpicht darauf wie wir, die Sache schnell hinter sich zu bringen.«
»Ich bin Polizist, ich versuche nur, meine Arbeit zu m achen, Torhus.«
Torhus lachte. »Wie rührend, Hole. Aber vergessen Sie nicht, dass ich ein paar Dinge über Sie weiß und Ihnen deshalb Ihr Ich-bin-ein-ehrlicher-Bulle-Spiel nicht abkaufe.«
Harry hustete in den Hörer und hörte das E
cho wie einen
gedämpften Pistolenschuss zurückkommen. Er murmelte etwas.
»Wie bitte?«
»Ich sagte, die Verbindung is t schlecht. Denken Sie ein bisschen nach, Torhus, und rufen Sie m ich an, wenn Sie mir etwas zu sagen haben.«
Harry schrak auf, wälzte si ch aus dem Bett und schaffte es gerade noch ins Bad, ehe er kotzen musste. Er setzte sich auf die Klobrille, jetzt kam es aus be iden Öffnungen. Schweiß drang aus seinen Poren, obwohl es kalt im Raum war.
Beim letzten Mal war e s schlimmer, redete er s ich selbst ein.
Es wird besser. Viel besser, hoffte er.
Er hatte sich die Vitam in-B-Spritze vor dem Zubettgehen in die Pobacke gesetzt und es hatte teuflisch gebrannt. Er m ochte keine Spritzen, ihm wurde immer schwindelig davon. Er musste an Vera denken, eine Hure in Oslo, die seit fünfzehn Jahren heroinabhängig war. Sie hatte ihm einmal erzählt, dass sie auch jetzt noch beinahe jedes Mal ohnm ächtig wurde, wenn sie sich einen Schuss setzte.
106
Er sah, wie sich etwas im Hal bdunkel bewegte, am Waschbe-cken, ein paar Fühler, die hin- und herschwangen. Eine Kakerlake. Sie hatte die Größe
eines Daumens und einen
orangefarbenen Streifen auf dem Rücken. Ein solches Vieh hatte er noch nie zuvor gesehen, aber das war vielleicht auch nicht verwunderlich – er hatte gelesen, dass es m ehr als dreitausend verschiedene Kakerlakenarten gi bt. Und er hatte gelesen, dass sie sich verstecken, wenn sie die Vibrationen eines sich n ähern-den Menschen spüren, und dass m it jeder Kakerlake, die m an sieht, zehn andere bereits vers chwunden sind.
Weitere Kostenlose Bücher