Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
hatte.
»Das darf nicht herauskomm en«, sagte er. »Das m eine ich ernst.«
»Es geht wirklich nicht in erster Linie darum , die Sache an die Öffentlichkeit zu bringen.«
»O.k., Hole, wie viele Skandale innerhalb der Christlichen Volkspartei sind Ihnen schon zu Ohren gekommen?«
»Nicht viele.«
»Eben. Über Jahre hinweg war das die kleine, nette Partei, für die sich eigentlich nie wirklich jemand interessiert hat. Während sich die Presse auf die Machtelite in der Arbeiterpartei und die Emporkömmlinge der Fortschritts partei stürzte, konnten die Abgeordneten der Christlichen Volkspartei im Großen und Ganzen ein unbehelligtes Leben führen. Durch den Regierungs-wechsel ist jetzt alles anders. Als m
an die Karten für die
Regierung neu m ischte, wurde sc hnell klar, dass Atle Molnes trotz seiner eindeutigen Qualitäten und seiner langen Laufbahn im Storting als Staats rat nicht in F rage kam. Die Mög lichkeit, dass sein Privatleben an d ie Öffentlichkeit gezerrt werden könnte, beinhaltete ein Risiko, das eine christliche Partei m it ethischen Grundsätzen nicht ei ngehen durfte. Man kann die Ernennung von hom osexuellen Pfarrern nicht verbieten, wenn man selbst hom osexuelle Staatsräte stellt. Ich glaube, sogar Molnes hat das eingesehen. Ab er als die Nam en des neuen Kabinetts veröffentlicht wurden, reagierten einige der Pressever-treter. Warum hatte Atle Moln es kein Am t bekommen?
Nachdem er vor einiger Zeit zurückgetreten war, da mit der
Ministerpräsident auch Parteivorsitzender werden konnte, wurde er von den m eisten als die Nu mmer zwei betrachtet, oder mindestens als die Nummer drei oder vier. Man begann, Fragen zu stellen, und es kam Leben in die Hom o-Gerüchte, die z um ersten Mal aufgekommen waren, als er sich als Parteivorsitzen-187
der zurückgezogen hatte. W ir wissen zwar, dass es im Storting einige homosexuelle Abgeordne te gibt, weshalb Sie sich vielleicht fragen mögen, warum das dann so wichtig war. Nun, das Interessante an dieser Sache ist, dass Molnes nicht nur ein Kandidat der Christlichen Volkspar tei, sondern auch ein enger Freund des Ministerpräsidenten war, dass sie zusammen studiert und sich sogar eine Wohnung geteilt haben. Und es war nur eine Frage der Zeit, bis die Presse sich darauf stürzen würde. Molnes gehörte zwar nicht zur Regierung, aber es hätte trotzdem nicht lange gedauert, bis er zu eine r Belastung für den Ministerpräsidenten geworden wäre. Es war allen bekannt, dass der Ministerpräsident und Molnes von Anfang an die wichtigsten politischen Vertrauten waren, und wer hätte ihm die Behauptung geglaubt, er habe all die Jahr e nichts von den sexuellen Neigun-gen seines Freundes gewusst? Was hätten dann all die Wähler und Wählerinnen gesagt, die den Ministerpräsidenten aufgrund seiner klaren Haltung zu außere helichen Lebensgemeinschaften und anderen Schweinereien unterst ützt hatten? Wenn er selbst eine Schlange an seinem Busen nährte, um es mit den Worten der Bibel zu sagen. W ie hätte sich das auf das Vertrauen ausgewirkt, das m an ihm entgegenbrachte? Die persön liche Popularität des Ministerpräsidenten war bis dahin die wichtigste Garantie für die Fortsetzung der Minderheitsregierung, und was man am wenigsten brauchen konnte, war ein Skandal. Es war klar, dass Molnes so schnell wie m öglich außer Landes musste.
Eine Stellung als Botschafter im Ausland war der beste Weg, denn dann konnte man den Ministerpräsidenten nicht beschuldi-gen, einen langjährigen, treuen Parteigenossen kaltgestellt zu haben. Zu dem Zeitpunkt wurde ich dam als kontaktiert. W ir haben rasch gehandelt. Die Bo tschafterstellung in Bangkok war formell noch nicht besetzt und damit war er weit genug weg, um von der Presse in Ruhe gelassen zu werden.«
Torhus hielt inne.
»Mein Gott«, sagte Harry nach einer Weile.
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»Ganz meine Meinung«, sagte Torhus.
»Wussten Sie, dass seine Frau einen Geliebten hat?«
Torhus kicherte leise.
»Nein, aber Sie m üssten mir eine verdamm t hohe Quote versprechen, damit ich darauf wette, dass sie keinen hat.«
»Warum?«
»Zum einen, weil ich annehm e, dass ein homosexueller Mann bereit ist, ein Auge zuzudrücken. Z um anderen, weil es irgendwie zur Kultur des Aus wärtigen Dienstes zu g ehören scheint, außereheliche Verbindungen einzugehen. Ja, m anchmal entstehen so sogar neue Ehen. Hier im Auswärtigen Amt kann man sich kaum bewegen, ohne auf Exehepartner, Exgeliebte oder aktuelle Lebensabschnittspartner zu
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