Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
euch alle morgen früh wieder ausgeruht hier zu sehen.«
Harry hielt sie am Fahrstuhl auf und bat um eine Erklärung.
»Hör mal, Harry, wir sind hier in Thailand, und da gelten etwas andere Regeln. Unser Polizeichef hat s ich ein biss chen eingemischt und Oslo gegenüber behauptet, dass wir den Mörder haben. Er hält Brekke für den Tä ter, und als ich ihn über die 249
letzten Entwicklungen im Fall unterrichtet habe, wurde er reichlich wütend und bestand da rauf, Brekke so lange in Untersuchungshaft zu belassen, bis er wenigstens ein Alibi vorweisen kann.«
»Aber …«
»Es geht um das Gesicht, Harry. Das Gesicht. Du darfst nicht vergessen, dass m an in Thailand so erzogen wird, nie einen Fehler einzugestehen.«
»Und wenn alle wissen, wer den Fehler gemacht hat?«
»Dann helfen alle mit, damit es nicht wie ein Fehler aussieht.«
Glücklicherweise schlossen sich die Aufzugtüren hinter Liz, ehe Harry sagen konnte, was er davon hielt. Stattdessen fiel ih m ein, welches Lied er da die ganze Zeit im Ohr gehabt hatte. »All Along The Watchtower«. Und jetzt er innerte er sich auch an die Textzeile: »There must be some way out of here, said the joker to the thief.«
Wenn es nur so wäre.
Draußen vor seiner Wohnung la g ein Brief und er erkannte Runas Namen auf der Rückseite.
Er knöpfte sein Hem d auf. De r Schweiß lag wie eine dünne Ölschicht auf seiner Brust und seinem Bauch. Er versuchte, sich daran zu erinnern, wie es m it siebzehn gewesen war. W ar er verliebt gewesen? Bestimmt.
Er legte den Brief ungeöffnet in s eine Nachttischschublade, denn so wollte er ihn zurückgebe n. Dann legte er sich aufs Bett und eine halbe Million Autos und die Klim aanlage versuchten, ihn in den Schlaf zu lullen.
Er dachte an Birgitta. Die Sc hwedin, die er in Australien getroffen hatte und die beteuert ha tte, ihn zu lieben. W as hatte Aune gesagt? Dass er »Angst habe, sich an andere Menschen zu 250
binden«. Der letzte Gedanke, an den er sich erinnerte, war, dass man für jede Befreiung büßen musste. Und umgekehrt.
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KAPITEL 32
Jens Brekke sah so aus, als hätte er seit der letzten Begegnung mit Harry nicht mehr geschlafen. Die Augen waren blutunterlau-fen und er bewegte die Hände ziellos auf dem Tisch vor sich.
»Sie erinnern sich also nich t an den farbigen Wachm ann mit der Afrofrisur?«, fragte Harry.
Brekke schüttelte den Kopf. »Wie gesagt, ich habe die Tiefgarage nie benutzt.«
»Vergessen wir Jim Love vorläufig«, sagte Harry. »Konzentrieren wir uns lieber darauf, we r versucht haben könnte, Sie in den Knast zu bringen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Jemand hat reichlich viele Mü hen auf sich genomm en, um Ihr Alibi kaputtzumachen.«
Jens zog die Augenbrauen hoch, so dass sie fast unter dem Haaransatz verschwanden.
»Am zehnten Januar hat jemand die Videokassette vom dritten Januar in den Recorder geschoben und die Szenen überspielt, in denen wir hätten sehen sollen, wie Sie den Botschafter zu seinem Wagen begleiteten.«
Jens’ Augenbrauen senkten sich wieder und f ormten ein M.
»Häh?«
»Denken Sie nach.«
»Sie meinen, ich soll Feinde haben?«
»Vielleicht, vielleicht waren Sie aber auch nur ein praktisch er Sündenbock.«
Jens rieb sich den Nacken. »F einde? Da fällt m ir keiner ein, nicht wirklich.« Seine Miene hellte sich plötzlich auf. »Aber das muss doch heißen, dass ich hier rauskomme.«
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»Sorry, aber Sie sind noch nicht außer Verdacht.«
»Ja, aber, Sie haben doch gerade gesagt, dass Sie …«
»Der Polizeichef will Sie nich t entlassen, ehe wir nich t ein Alibi haben. Deshalb b itte ich Sie, gut nachzudenken. Gibt es jemanden, irgendjemanden, der Si e gesehen hat, nachdem Sie sich vom Botschafter v erabschiedet hatten und bevor Sie nach Hause kamen? Jemanden in der Tiefgarage, als Sie das Büro verließen oder als Sie das Taxi nahmen, waren Sie vielleicht an irgendeinem Kiosk, irgendetwas?«
Jens legte den Kopf in die Hä nde. Harry zün dete sich eine Zigarette an.
»Scheiße, Harry! Sie haben m ich mit diesem Videozeugs völlig verwirrt, ich kann mich nicht konzentrieren.«
Jens stöhnte und schlug m it der flachen Hand auf den Tisch.
»Wissen Sie, was heute Nacht geschehen ist? Ich habe geträumt, dass ich den Botschafter getöte t habe. Dass wir durch den Haupteingang spazierten und m it seinem Auto in ein Motel fuhren, wo ich ihm ein dickes Schlachterm esser in den Rücken rammte. Ich versuchte, m ich dagegen zu wehren, ich war
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