Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
nicht Herr über meinen eigenen Körper, ich war irgendwie eingesperrt in einem Roboter und der stach wieder und wieder zu, und ich
…«
Er hielt inne.
Harry sagte nichts, er ließ ihm die Zeit, die er brauchte.
»Harry, ich ertrage es einfach nicht, eingesperrt zu sein«, sagte Jens. »Ich konnte das noch nie. Mein Vater …«
Er schluckte und ballte die rech te Hand zur Faust. Harry sah seine Knöchel weiß werden. Jens flüsterte fast, als er fort fuhr:
»Wenn jemand mit einem vorfor mulierten Geständnis zu m ir kommen und mir sagen würde, dass ich gehen dürfte, wenn ich meinen Namen daruntersetzte – ich weiß n icht, was ic h tun würde.«
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Harry erhob sich. »Versuchen Sie, sich zu erinnern. Jetzt, da der Videobeweis entkräftet ist, können Sie vielleicht wieder klar denken.«
Er ging zur Tür.
»Harry?«
Harry fragte sich, warum die Menschen immer so redselig wurden, sobald man ihnen den Rücken zudrehte.
»Ja?«
»Warum halten Sie m ich für unschuldig, wenn alle anderen vom Gegenteil überzeugt sind?«
Harry antwortete, ohne sich umzudrehen: »In erster Linie weil wir nicht die Spur eines Bewe ises gegen Sie haben, nur ein fehlendes Alibi und ein ziemlich wackliges Motiv.«
»Und in zweiter Linie?«
Harry lächelte und neigte den Kopf: »Weil ich von Anfang a n der Meinung war, dass Sie ein Drecksack sind.«
»Und?«
»Meine Menschenkenntnis ist extrem schlecht. Einen schönen Tag noch.«
Bjarne Møller öffnete ein Auge, blinzelte auf die Uhr auf seinem Nachttischchen und fragte sich, wer zum Teufel um sechs Uhr morgens auf die Idee kommen konnte, ihn anzurufen.
»Ich weiß, wie spät es ist«, sagte Harry, ehe Møller überhaupt etwas sagen konnte. »Hör m al, es gibt hier einen Typen, den du für mich überprüfen musst. Ich hab noch nichts Konkretes, es ist bloß so ein Gefühl.«
»Gefühl?« Møllers Stimme hörte sich wie ein Stück Pappe an, das gegen die Fahrradspeichen schlug.
»Ja, ich könnte darauf wetten. Ich glaube, wir suchen einen Norweger, und da gibt es nur eine begrenzte Auswahl.«
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Møller räusperte sich und holte einen Eim er voll Schlei m
hoch. »Warum einen Norweger?«
»Nun. Auf Molnes’ Jacke haben wir Spuren von Rentierf ett gefunden, vermutlich von dem Messer. Und der Einstichwin kel zeigt, dass der Täter eine ziem lich große Person gewesen sein muss. Die Thailänder sind eher klein, wie du vielleicht weißt.«
»O.k., Hole, aber hättest du dam it nicht ein paar Stunden warten können?«
»Natürlich«, sagte Harry. Es entstand eine Pause.
»Und warum hast du es dann nicht getan?«
»Weil hier unten f ünf Ermittler und ein Poliz eichef darauf warten, dass du in die Gänge kommst, Chef!«
Møller rief zwei Stunden später zurück.
»Hole, wie bist du darauf gekommen, genau diesen Typen überprüfen zu lassen?«
»Tja. Ich dachte m ir, dass je mand, der Rentierfett für ein Messer benutzt, in Nordnorwegen gewesen sein muss. Und dann habe ich mich an zwei Freunde erinnert, die ihren Militärdienst in Lappland verrichtet haben und sich da oben riesige sam ische Messer gekauft haben. Ivar Løken war viele Jahre in der V erteidigung und er war in V ardø stationiert. Außerdem habe ich so ein Gefühl, dass er weiß, wie man mit Messern umgeht.«
»Das kann wohl stimmen«, sagte Møller. »Was weißt du sonst noch über ihn?«
»Nicht viel. Tonje W iig meint, er sei hier unten bis zu seiner Pensionierung auf eine Art Abstellgleis geschoben worden.«
»Tja, im Strafregister haben wir nichts über ihn.« Møller hielt inne.
»Aber?«
»Wir hatten hier trotzdem eine Akte über ihn.«
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»Wie meinst du das?«
»Sein Name taucht auf dem Bildschirm auf, a ber ich konnte die Datei nicht öffnen. Eine Stunde später habe ich einen A nruf vom Oberkommando der Landesverteidigung in Husby erhalten, die mich ausgefragt haben, warum ich versucht hätte, die D atei zu öffnen.«
»Mein Gott.«
»Sie baten m ich, einen schriftl ichen Antrag zu stellen, wenn ich Informationen über Ivar Løken bekommen wollte.«
»Vergiss es.«
»Habe ich bereits, Harry, da komme n wir ohnehin nicht weiter.«
»Hast du mit Hammervoll von der Sitte gesprochen?«
»Ja.«
»Und?«
»Es gibt natürlich kein Archiv über pädophile Norweger in Thailand.«
»Dachte ich mir. Dieser Scheißdatenschutz!«
»Das hat damit nichts zu tun.«
»Nicht?«
»Wir haben vor ein paar Jahr en eine Art L iste begonnen, konnten die aber unmöglich ständig
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