Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
weiß, dass die norwegische Polizei eine solche Vereinbarung angestrebt hat, aber ich glaube nicht, dass sich die norwegischen Behörden wirklich darüber im Klaren sind, was da in Pattaya und Bangkok abgeht. Hast du Kinder bemerkt, die Kaugummis verkaufen?«
Harry nickte. Es wimmelte von ihnen rund um die Go-Go-Bars in Patpong.
»Das ist der sogenannte gehe ime Code. Das Kaugumm i bedeutet, dass sie zu verkaufen sind.«
Harry dachte schaudernd daran, dass er von einem kleinen
Jungen mit nackten Beinen, der ihn mit seinen schwarzen Augen ängstlich angestarrt hatte, ein Päckchen Wrigley’s gekauft hatte und dass er bloß gedacht hatte, der Kleine fürchte sich, weil dort so viele lärmende Menschen waren.
»Kannst du m ir ein bisschen m ehr über die Fotoleidenschaft von Ivar Løken sagen? Hast du m al eines seiner Bilder gesehen?«
»Nein, aber ich habe seine Ausrüstung gesehen, und die war wirklich beeindruckend.«
Ihre Wangen röteten sich leicht , als sie begriff, warum Harry unwillkürlich lächeln musste.
»Und diese Reisen quer durch Indochina, weißt du sicher, dass er wirklich dort war?«
»Na ja, warum sollte er diesbezüglich lügen?«
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»Hast du keine Idee?«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust, als wäre ihr plötzlich kalt geworden. »Eigentlich nicht. Hat dir der Tee geschmeckt?«
»Ich muss dich um einen Gefallen bitten, Tonje.«
»Ah ja?«
»Eine Einladung zum Essen.«
Sie blickte überrascht auf.
»Wenn du Zeit hast«, fügte er hinzu.
Sie brauchte eine Weile, um ihren Gesichtsausdruck zu verändern, doch zu guter Letzt gelang ihr wieder ihr schelm isches Lächeln. »Mein Terminkalender steht dir zur Verfügung, Harry.
Wann immer du willst.«
»Schön.« Harry zog die Luft durch die Zähne. »Dann frage ich mich, ob du Ivar Løken für he ute Abend zwischen sieben und zehn zum Essen einladen könntest.«
Sie hatte genug Übung, um ihre strahlende Fassade aufrecht-zuerhalten, so dass es nicht allz u peinlich wurde. Nachdem er ihr den Hintergrund erklärt hatt e, sagte sie sogar zu. Harry schepperte noch einm al mit dem Porzellan, behauptete dann, gehen zu müssen, und m achte einen plumpen, plötzlichen Abgang.
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KAPITEL 33
Jeder kann in ein Haus einbrechen, m an muss nur in Schlosshö-
he ein Brecheisen in die Tür schieben und sich dann m it aller Macht dagegenstemmen, bis Holz splittert. Doch beim Einbrechen das Gewicht auf das »Ein« und nicht auf das »Brechen« zu legen, so dass derjenige, der
in dem Haus wohnt, niem als
bemerkt, dass er ungebetene Gäste gehabt hat, ist eine wahre Kunst. Eine Kunst, die S unthorn bis zur Perfektion beherrschte, wie sich zeigen sollte.
Ivar Løken wohnte in einem Apartmenthaus auf der anderen Seite der P hra-Pinklao-Brücke und Sunthorn und Harry saßen schon eine Stunde wartend im Wagen, bis sie ihn endlich gehen sahen. Sie warteten zehn Minuten, bis sie sich sicher waren, dass Løken nicht wieder zurückkam, um irgendetwas Vergessenes zu holen.
Die Wachleute am Empfang schoben eine ruhige Kugel. Die zwei Männer in Uniform, die sich an der Einfahrt zur Tiefgarage unterhielten, blickten kurz au f, sahen einen W eißen und einen leidlich gut gekleideten Thai länder zum Fahrstuhl gehen und redeten weiter.
Als Harry und Sunthorn vor Løkens Wohnung in der 12. Etage standen, fischte Sunthorn zwei haarnadelartige Dietriche aus seiner Tasche, nahm einen in jede Hand, schob sie ins Schloss und zog sie fast sofort wieder heraus.
»Ganz ruhig«, flüsterte Harry. »Lassen Sie sich nicht stressen, wir haben alle Z eit der W elt. Versuchen Sie einen anderen Dietrich.«
»Ich habe keine anderen.«
Sunthorn lächelte und stieß die Tür auf.
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Harry traute seinen Augen nicht. Vielleicht war es doch kein Spaß gewesen, was Nho über Sunt horns Broterwerb angedeutet hatte, bevor dieser bei der Poliz ei angefangen hatte. Aber sollte er zuvor noch nichts auf dem Kerbholz gehabt haben, dann hatte er es jetzt, dachte Harry, als er sich die Schuhe auszog und in die stockdunkle Wohnung trat. Liz ha tte erklärt, dass sie die Unterschrift eines Staatsanwalts brauchten, um einen Durchsuchungsbefehl zu bekommen, und dass sie dafür den Polizeichef informieren müsste. Was, wie sie meinte, schwierig werden könnte, da er ausdrückli ch darauf bestanden hatte, alle Ermittlungen auf Jens Brekke zu konzentrieren. Harry hatte angedeutet, dass er ja nicht de m Polizeichef unterstand und dass er die W ohnung Løkens ein wenig im Auge
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