Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
klug, um Yonathan mit einem offenen Nein abzufertigen. Er wollte ihn ja bei Laune halten, ihn wenn möglich zum freiwilligen Verbleib im Sedin-Palast bewegen.
»Na gut«, räumte er ein, und noch ehe Yonathan erleichtert aufatmen konnte, fügte er hinzu: »Unter einer Bedingung.«
»Er hat was von dir verlangt?« Gimbar konnte es noch immer nicht fassen.
»Du hast schon richtig verstanden«, wiederholte Yonathan schmunzelnd. »Ich sollte Eis für ihn machen.«
»Das ist gar nicht so außergewöhnlich«, mischte Baltan sich ein. »Er hat das von seinen Fürsten abgeschaut, die am Rande des Drachengebirges oder des Großen Walls wohnen. Dort ist es nichts Besonderes, sich von ausdauernden Läufern Eis aus den schneebedeckten Höhen der Berge bringen zu lassen, um es nachher, mit Sirup oder anderem versüßt, zu verzehren.«
»Ich finde es unheimlich raffiniert, wie du das angestellt hast«, bewunderte Yomi seinen jungen Freund. »Aber willst du uns nicht trotzdem verraten, woher du das Rezept für diese ›Eisbombe‹ hattest?«
»Das bleibt vorläufig mein Geheimnis«, wehrte Yonathan ab. Außer Baltan hätte ihm ohnehin niemand geglaubt, dass er die Methode der Zubereitung aus seinen Träumen hatte. Nachdem Zirgis ihn nämlich mit seiner reichlich sonderbaren Forderung konfrontiert hatte, stand Yonathan zunächst einmal ziemlich ratlos da. Mit bangen Befürchtungen ging er am Abend ins Bett. Als er am nächsten Morgen erwachte, hatte sich alles geändert.
In der Nacht hatte er einen Traum gehabt; in gewisser Hinsicht ähnelte er jenem, der ihn in Din-Mikkiths Baumhaus überrascht hatte: Er trat plötzlich aus einem wabernden Nebel heraus und blickte auf ein großes Fenster, dessen glattes, dünnes Glas von einem Raster weißer Holzstreben unterteilt war. Die Melodie einer Flöte hatte ihn gerufen. Der Klang des Instruments war ihm nicht fremd – er selbst hatte es einmal besessen und später wieder an seinen rechtmäßigen Besitzer, an Jonathan, seinen Traumbruder, zurückgegeben.
Dann griff ein unwirkliches blaues Licht nach dem Nebel und zog ihn fort wie einen Schleier. Auf der anderen Seite des Fensters erschien die vertraute Gestalt Jonathans in einem Stuhl mit Rädern. Jonathan sah noch bleicher und kränklicher aus als bei ihrem letzten Zusammentreffen. Vielleicht lag es an dem weißen Nachthemd, das sein Traumbruder trug.
Nach einer Zeit des Schweigens, in der sie sich an die Gegenwart ihres Gegenübers gewöhnen mussten, begann schließlich Jonathan zu sprechen. Obgleich das Fenster verschlossen blieb und kein Laut zu hören war, verstand Yonathan jedes Wort. Wie, das konnte er sich nicht erklären; aber es funktionierte. Er selbst schwieg während der Begegnung, hörte nur zu und nickte. Schließlich verblasste das bläuliche Licht, Dunkelheit umhüllte ihn und er fand sich wieder in seinem Bett, hoch oben im Großen Kubus, auf dem Palastberg zu Cedanor.
Als Yonathan am Morgen erwachte, wusste er genau, was zu tun war. Er überredete den kaiserlichen Hofkoch, ihm einigeZutaten zu besorgen. Die große Überraschung folgte dann am Morgen darauf. Rechtzeitig vor dem Frühstück machte sich Yonathan mit Felin auf und stieg noch einmal zu den Wurzeln des Sedin-Palastes hinab. Nur dort fand er das eiskalte, salzige Wasser, das er für die Eisherstellung benötigte. Als der Kaiser dann beim Frühstück die Eisbombe serviert bekam, war sein Gaumen entzückt; sein Magen jedoch krampfte sich zusammen, weil Yonathan ihm eine Niederlage bereitet hatte. Da ein kaiserliches Wort aber Gesetz ist, musste er nachgeben und seinen Gast ziehen lassen. Yonathan wurde wieder von einer Eskorte der Leibwache begleitet, die peinlichst genau darauf achtete, dass der hohe Staatsgast nicht in den unübersichtlichen Gassen Cedanors verloren ging.
Während die Soldaten vor dem Anwesen des Kaufmanns warteten, beratschlagten sich Yonathan und seine Gefährten in der Abgeschiedenheit von Baltans Arbeitszimmer. Er war glücklich sie wieder zu sehen, obwohl er nicht einmal zwei Wochen von ihnen getrennt gewesen war.
»Ich hielt es für unbedingt nötig, dir persönlich zu erklären, welche Fluchtmöglichkeiten es gibt«, sagte Baltan. »Ich sehe nur diesen einen Weg, der dich nach Gan Mischpad führen kann, und ich weiß nicht, ob ich dir zu-oder doch lieber abraten soll. Um ehrlich zu sein, neige ich eher zu Letzterem.«
Yonathan antwortete: »Wenn uns weder der Wasserweg über den Cedan noch derjenige zu Lande über die
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