Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
unregelmäßiges Sirren, Pfeifen und Zischen, ein seltsam peitschendes Geräusch, dessen Ursache er nicht erraten konnte. Als er vorsichtig die Augen öffnete, sah er Felin, der in einiger Entfernung mit dem Schwert Bar-Schevet hantierte.
Der Prinz war völlig in seine Waffenübungen vertieft. Wie ein Wesen aus einer anderen Welt schwebte seine Gestalt, anmutig und furchtbar zugleich, in dem Nebel des frühen Morgens. Mit unbedecktem, von Schweiß dampfendem Oberkörper vollführte Felin schnelle Paraden und Pirouetten, Ausweichschritte und Gegenangriffe. Mal schwirrte der weißblaue Stahl so schnell durch die Luft, dass er unsichtbar wurde, dann wieder erstarrte Felin zur Statue und bot ein Abbild vollkommener Konzentration und Körperbeherrschung.
Gebannt von der Darbietung bemerkte Yonathan kaum, wie sich Gimbar in seinen Gesichtskreis schob. Er kam vom nahe gelegenen Bach, wo er die Wasserschläuche aufgefüllt hatte. Vorsichtig ließ der kleine Mann die Schläuche von den Schultern gleiten, hob langsam einen dicken Ast vom Boden und schleuderte diesen plötzlich in Felins Richtung.
Das Holz hätte den Prinzen am Kopf getroffen. Es kam jedoch nicht so weit: Blitzschnell änderte Bar-Schevet seine Richtung, spaltete das Holz wie ein blauer Blitz der Längenach. Als wäre nichts geschehen, setzte Felin seine Übungen fort.
Es sah so aus, als hätten die beiden Astteile ihr Gewicht verloren, als schwebten sie, Federn gleich, zu Boden. Eine Illusion. Geschaffen aus dem schnellen Fluss der Angriffs- und Verteidigungspositionen, die Felin noch während des Flugs der beiden Holzstücke vollführte. Als sie endlich zu Boden gesunken waren, kam die mächtige Klinge zur Ruhe. Felin wandte sich Gimbar zu und sagte lächelnd: »Vielen Dank für die kleine Abwechslung, mein Freund.«
»Gern geschehen«, antwortete Gimbar und fügte bewundernd hinzu: »Wo hast du das nur gelernt?«
»Das sind nur einige Übungen, um den Körper geschmeidig zu halten, nichts Besonderes. Qorbán hat sie mir beigebracht.«
»Qorbán? Der Erste Waffenmeister des Kaisers? Man sagt, er sei mit dem Schwert unbesiegbar.«
Felin zuckte die Achseln. »Niemand ist unbesiegbar und Qorbán ist auch nicht mehr der Jüngste. Wenn der Kaiser früher jemanden brauchte, der eine gefährliche und unlösbare Aufgabe erledigen sollte, dann hat stets Qorbán den Auftrag übernommen. Immerhin ist er bis heute am Leben geblieben, was sicher mehr als alle Worte von seinen Fähigkeiten zeugt. Aber in den letzten Jahren hat er sich damit begnügt, den Jüngeren seine Erfahrung zur Verfügung zu stellen und dem Kaiser Fechtunterricht zu erteilen.«
»Ich finde, du untertreibst«, mischte sich Yomi ein, der damit beschäftigt war das Lager abzubrechen. »Jeder in Cedanor weiß, dass du inzwischen mit dem Schwert besser umgehen kannst als der alte Qorbán.«
»Alles nur Scheingefechte und Waffenübungen«, wehrte Felin ab. »Ich bin noch nie einem echten Feind mit dem Schwert gegenübergetreten – und ich bin froh darum. Und bei der Jagd ist mir mein Bogen ohnehin lieber als ein Schwert. Wenn auch« – er ließ seine Augen an Bar-Schevet entlangwandern – »dieses Schwert etwas ganz Besonderes ist.« Fast entschuldigend fügte er hinzu: »Ich wollte einmal ausprobieren, wie es sich anfühlt.«
Die kleine Waldlichtung lag leer und verwaist. Die vier Menschen und der Masch-Masch waren verschwunden. Yonathan musste sich weiterhin tragen lassen. Das nagte zwar gewaltig an seinem Selbstwertgefühl, aber sein Gesundheitszustand erlaubte es noch immer nicht, dass er auf eigenen Füßen den Marsch fortsetzte. Immerhin waren die Kopfschmerzen an diesem Tage nicht mehr so unerträglich. Er konnte den Oberkörper schon aufrichten, ohne dass dabei sein Schädel in tausend kleine Stücke zersprang.
Die weißgrauen, träge dahinziehenden Wolken gaben immer häufiger den Blick auf den blauen Himmel frei. Und etwa zur vierten Stunde ließ sich auch die Sonne selbst blicken, versprühte mit ihrer Wärme Zuversicht und Frohsinn und sog die klamme Morgenkälte aus Yonathans neuen alten Kleidern.
Ansonsten verlief der Tag genauso wie der vergangene: Man stolperte über Wurzeln und kletterte über Felsen, bis man sich am Abend einen geeigneten Lagerplatz suchte.
Am Morgen des dritten Tages ihrer Flucht aus Cedanor verkündete Felin zuversichtlich: »Ich denke, wenn heute nichts mehr schief geht, werden wir noch vor Sonnenuntergang auf Baltans Karawane treffen.«
Gimbar, der
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