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Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Titel: Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Blicke der Gefährten bemerkte, deutete er mit ausgestrecktem Arm nach Südosten und fügte hinzu: »Diese Hügelkette, die ihr dort in etwa fünf Meilen seht, ist die Grenze zum Cedan-Tal. Wenn wir sie überquert haben, werden wir Abbadon sehen.«
    »So schnell schon?«, murmelte Yomi mit wenig Begeisterung.
    »Es wird Abend werden, bis wir die verfluchte Stadt erreichen. Aber hinter diesem Kamm dort fällt das Land stetig ab. Außerdem gibt es ja noch den anderen Grund, warum wir den Ort gar nicht verfehlen können…«
    Yonathan erinnerte sich an die Wolke, die er tags zuvor schon in der Gewitterfront zu erkennen geglaubt hatte. Den Freunden ging es wahrscheinlich ähnlich, denn niemand fragte nach. Im Gegenteil, die Äußerung des Schützenden Schattens hatte die Wirkung eines Startsignals: Sie machte jedem klar, dass man nicht ewig die Zeit mit Frühstücken und anderen Dingen verschleppen konnte. Das Ziel stand fest. Nun galt es, darauf zuzugehen.
    Alsbald verrichtete jeder schweigend und zielstrebig jene Handgriffe, die zum allmorgendlichen Ritual des Lagerabbrechens und Pferdebepackens gehörten. Nach weniger als einer Stunde kroch der dünne Wurm der Karawane in seiner geduldigen Beharrlichkeit auf die Hügel im Südosten zu.
    Der Aufstieg war nicht schwierig. Bei geringer Steigung gab es kaum Hindernisse, denen man ausweichen musste – Wind und Wetter hatten die Landschaft innerhalb von zweitausend Jahren abgeschliffen, die Spuren der Menschen waren schon lange verwischt.
    Jedenfalls, solange man noch die letzte Hügelkuppe vor sich sah. Als die Wüstenreisenden den höchsten Punkt der Route erreichten, offenbarte sich ihnen ein Bild, das überwältigend und beängstigend zugleich war. In der Ferne wand sich der Cedan wie ein dunkler Lindwurm durch eine zweigeteilte Landschaft. Da, wo die Säulen des Landes mit dem Himmelsgewölbe zusammenstießen, befand sich Baschan. Selbst die große Entfernung, die alles blau färbte, konnte den Eindruck nicht verwischen, dass es dort, jenseits des Cedan, fruchtbares Grün im Überfluss gab, Grün, das Leben bedeutete. Diesseits des großen Stroms hatte die Wüste das Leben aufgesogen, schon vor langer Zeit. Nur wenige Unebenheiten konnten der sanft zum Fluss hin abfallenden Landschaft etwas Abwechslung verleihen.
    Wenn da nicht jener Fremdkörper gewesen wäre.
    Wie ein böses Geschwür hing in direkter Marschrichtung eine große, dunkle Wolke über dem Land. Sie begann am Fluss und erstreckte sich von dort weit nach Süden und Südwesten hin. Während die Karawane allmählich ihrem Ziel entgegenstrebte, zeichneten sich unter dem bewegungslosen Wolkenteppich immer deutlicher Unebenheiten ab, die sich bald als Mauern, Türme und Häuser entpuppten. Der Anblick der Stadt ließ Yonathans Herz schneller schlagen, wenn auch aus anderen Gründen als im Falle Cedanors oder selbst Meresins. Wie die Kaiserstadt war Abbadon groß, ja geradezu riesig! Ebenso lag der »Ort der Vernichtung« an der glitzernden Hauptschlagader der Zentralregion, dem Cedan. Aber diese Stadt, die da vor Yonathan und seinen Gefährten lag, hatte nichts von der Lebendigkeit anderer Orte. Keine weißen Häuser blitzten in der Sonne. Keine Reisenden zogen über sauber angelegte kaiserliche Straßen. Keine Felder, Wiesen oder Weiden deuteten auf die Nähe einer menschlichen Siedlung hin.
    Alle Gebäude in der Stadt hatten die gleiche ockerfarbene Tönung wie der Wüstensand. Deshalb konnte man sie fast nur an der stets über ihr schwebenden Wolke erkennen. Lediglich das Spiel von Licht und Schatten bot dem Auge aus größerer Nähe Griffe, an denen es sich fest halten konnte. Doch auch hier gab es eine Ausnahme.
    Inmitten der hohen, vielfach auch eingestürzten Stadtmauern schwelte ein sechseckiger schwarzer Fleck. Er sah aus wie eine riesige verkohlte Bienenwabe, ein gewaltiges, in den Boden gestampftes Loch, wie ein höhnisches, zahnloses Maul, das ahnungslose Geschöpfe auf immer verschlucken konnte.
    »Ist das…?« Yonathans Mund war so trocken, dass die Worte nicht recht über die Zunge rollen wollten.
    »Der Schwarze Tempel«, beantwortete Yehsir die Frage.
    »Es sieht so aus, als wäre er an seiner Ostseite stark beschädigt.«
    Yehsir nickte. »Wie ja auch viele andere Gebäude in der Stadt. Das liegt daran, dass sich damals, wenige Tage, bevor Yehwohs Fluch wirksam wurde, verschiedene gegnerische Gruppen gebildet hatten. Ein großer Teil der Bevölkerung wandte sich vom König ab. Sie glaubten,

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