Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
Teil davon sogleich wieder mit Yehsirs bitterem Pas-Kraut versetzt wurde.
Nach Einteilung der Nachtwache – es blieb dabei: Yomi kam als Letzter an die Reihe – wickelte sich jeder in seine Decken und begann den Kampf gegen Kälte und beunruhigende Gedanken. Während Felin außerhalb der Erdsenke alle Sinne geöffnet hielt, um die Gegend nach verdächtigen Bewegungen oder Geräuschen abzusuchen, wälzten sich die übrigen Gefährten auf ihren Lagern unruhig hin und her, als hätten sie den Feind, der ihnen den Schlaf stahl, gerade gepackt und zu Boden geworfen und mühten sich nun damit ab, ihn endgültig zu binden. Gegen Mitternacht war Ruhe eingekehrt. Yehsir hielt inzwischen Wache. Langsam gewann auch Yonathan den Kampf und sank in einen seichten, unruhigen Schlaf.
Als er erwachte, hatte sich etwas verändert. Die Freunde segelten noch auf dem Meer der Träume. Dennoch stimmte etwas nicht. Richtig, die Schlafgeräusche hatten einen neuen Klang. Und Yomis kräftiges Schnarchen fehlte. Ebenso der Freund selbst.
Yonathan schälte sich aus seinen Decken und setzte sich auf. Es war bitterkalt. Yehsir hatte ein Lagerfeuer untersagt: zu gefährlich, zu verschwenderisch! Yonathan fiel ein, dass Yomi wohl Wache hatte. Aber er sah ihn nicht.
Er stand auf, schlang sich den Gürtel mit Goels wundersamem Dolch um, warf sich Din-Mikkiths Umhang über die Schultern und griff zu Haschevet. Vielleicht ist Yomi am Wasser, überlegte er. Immerhin wäre es verständlich, nach so langer Wüstenwanderung. Leise ging er in Richtung des Flusses.
Da er nicht weit vom Lager vorbeiströmte, hatte Yonathan das Ufer schnell erreicht. Hier, unmittelbar unter dem Saum der schwarzen Wolke, fiel wenigstens etwas Sternenlicht auf die sanft bewegten Wellen des großen Stroms. Der kaum mehr halbe Mond spiegelte sich im schwarzen Wasser. Aber von Yomi gab es keine Spur.
Er wird doch nicht…? Konnte es sein, dass Yomi einen Ausflug in die Ruinen Abbadons unternommen hatte? Bei ihm wusste man nie, woran man war. Manchmal sah er Probleme, wo es keine gab, dann wieder stürzte er sich in Wagnisse, die Yonathan nicht eingehen würde.
Während er darüber nachdachte, was er tun sollte, lauschte Yonathan dem leisen Wind und dem beinahe unhörbaren Plätschern des Wassers, Geräusche, die wie beruhigende Musik in seinen Ohren waren. Er wusste, dass es auf der anderen Seite des Cedan wuchernde Wälder und fruchtbare Felder gab, die von diesem Wasser lebten. Das machte die Totenstille, die diesseits des breiten Flusses herrschte, wenigstens etwas erträglicher.
In diesem Moment mischte sich ein anderer Ton in das Konzert von Wind und Wellen. Obwohl auch dieser Laut sehr leise war, zerstörte er das harmonische Klangbild, als schlüge jemand mit der Hand in unbewegtes Wasser, in dem sich eben noch der Mond gespiegelt hatte. Yonathan horchte auf. Das Geräusch kam von jenseits des Lagers, von da, wo die niedrigen Ruinen des Hafenviertels standen wie aus der Erde gereckte Fäuste. Beinahe klang es, als würde ihn jemand leise rufen. Yomi? Vielleicht war er in Schwierigkeiten. Was sollte er tun? Die anderen Gefährten wecken? Nein, das war sicher nicht nötig, wenn er nur bis zum Rand der alten Hafensiedlung ging. Man musste Yehsirs Unmut ja nicht mutwillig heraufbeschwören. Der Karawanenführer hatte wirklich oft genug vor der verfluchten Stadt gewarnt.
Yonathan ging um die Mulde herum, in der sich das Nachtlager befand, und hielt auf die Ruinen zu. Noch einmal glaubte er das Raunen zu hören. Als er nur noch zwanzig Schritt von den ersten eingefallenen Gebäuden entfernt stand, herrschte wieder völlige Stille. Nichts, nur vollkommene Finsternis.
Gerade wollte er sich abwenden, um nun doch die Gefährten im Lager zu alarmieren, als er eine Bewegung wahrnahm. Yonathan strengte seine Augen an und blickte in die Gasse, die früher einmal direkt zu den Kaianlagen geführt hatte. Tatsächlich! Es sah so aus, als bewege sich da ein hoher, schmaler Schatten.
»Yomi?«, fragte Yonathan unsicher und ging langsam auf die Erscheinung zu.
Jede Bewegung war erstorben. Aber er konnte die dünne Säule noch immer sehen, ein Rußflöckchen in einer dicken, schwarzen Rauchwolke. Während er immer tiefer in die Gasse eintauchte, zogen rechts und links die finsteren Fassaden an ihm vorüber. Die leeren Fenster-und Türöffnungen wirkten bedrohlich wie Augenhöhlen, die ihn mit leeren Blicken verfolgten.
Als er die Gestalt fast erreicht hatte, verlangsamte sich
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