Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
Meile.«
Yehsir ließ wieder den Blick kreisen, der allen signalisierte, dass nun eine wichtige Mitteilung folgte.
»Dort plane ich unser nächstes Nachtlager aufzuschlagen.«
Der Vorschlag des Karawanenführers löste nicht eben Begeisterung aus.
»Lässt sich das nicht irgendwie vermeiden?«, fragte Yomi.
»Wir können Sethur ja fragen, ob er uns sicheres Geleit bis zum Garten der Weisheit gewährt«, meinte Gimbar trocken.
»Gimbar, du hast wirklich immer die besten Einfälle.«
»O bitte, Yo. Ich dachte mir gleich, dass du nicht sofort darauf kommen würdest.«
»Yehsir hat sicher Recht«, sagte Felin. »Sethur scheint bis jetzt jeden von Yonathans Schritten vorausgesehen zu haben. Wir sollten es ihm also nicht leichter machen als unbedingt nötig.«
»Aber direkt durch die Stadt!«, klagte Yomi. »Ich habe von diesem Ort schon die schlimmsten Dinge gehört. Seit alles Leben in Abbadon ausgetilgt wurde, soll dort ziemlich Unheimliches umgehen.«
Ein Knacken im Feuer ließ die Gefährten hochschrecken.
»Keine Schauermärchen bitte, Yomi!«, sagte Yonathan. »Denke nur daran, dass Yehwoh uns auch über Ha-Cherem hinwegschreiten ließ, ohne dass uns ein Haar gekrümmt wurde. Du erinnerst dich doch noch an den Salzsee im Verborgenen Land, unter dem die Stadt verborgen liegt, deren Name sogar ›die Verfluchte‹ bedeutet. Es ist uns nichts geschehen, genauso wie uns bei Abbadon nichts geschehen wird.«
»Abbadon ist nicht Ha-Cherem.«
»Nein. Aber du weißt, was Yehsir sagte. Wir ziehen nicht direkt durch Abbadon, sondern nur dicht vorbei. Unser Lager schlagen wir sogar an einer Stelle auf, die damals überhaupt nicht verflucht wurde: im ehemaligen Flussbett des Cedan.«
Yomi verkniff sich weiteren Widerspruch. Seine gekrauste Stirn glättete sich ein wenig. Auch Felin und Gimbar – ja, sogar Yehsir – schienen erleichtert aufzuatmen.
»Das war eine kluge Bemerkung«, sagte der Schützende Schatten. »Obwohl ich den Einfall hatte, im alten Hafenbecken unser Lager aufzuschlagen, war mir dabei nicht ganz wohlzumute. Ich habe es nur als das Geringste aller Übel betrachtet.« Er nickte zufrieden und schob sich ein Stück Trockenfleisch in den Mund.
»Mir ist auch wesentlich wohler bei dem Gedanken, wenigstens einmal für eine Nacht mein Haupt auf einen fluchfreien Boden zu betten«, versicherte Felin.
»So betrachtet, bin ich jetzt sogar überzeugt, ausgezeichnet schlafen zu können«, machte Gimbar als Letzter seinen Gefühlen Luft. »Wer übernimmt die erste Wache? Ich schlage vor, Yomi.«
Der Schwarze Tempel von Abbadon
Yomi hatte darauf bestanden, in der kommenden Nacht die letzte Wache zu übernehmen. »Wenn ich schlafe, dann habe ich keine Angst«, war seine offene Begründung. »Und wenn ich dann weiß, dass ich nach dem Aufstehen bald weiterziehen kann, ist mir wesentlich wohler zumute.«
Am nächsten Morgen schien es den Reisenden etwas an Elan zu mangeln. Obwohl alle früh erwachten, ließ man sich sehr viel Zeit für das Frühstück.
Yonathan dachte an seine Träume der vergangenen Nacht. Seit dem Verlassen Cedanors war er seinem Traumbruder nicht mehr begegnet. Aber in der letzten Nacht hatte er ihn wieder gesehen, leichenblass lag er in einem weiß bezogenen Bett. Erst dachte Yonathan, er sehe einen Toten, aber dann besuchten verschiedene Männer den Kranken. Einer der Besucher untersuchte ihn lange, wahrscheinlich ein Heiler.Über einen anderen, einen nicht sehr großen, weißhaarigen Mann, schien sich der Traumbruder besonders zu freuen. Das gab Yonathan ein wenig Trost. Vielleicht war die Lage um die andere Seite seines Ichs doch nicht so ernst.
Yehsir vervollständigte seine Reiseaufzeichnungen. Sobald die Sonne aufgegangen war, spähte er wiederholt durch den Orientierungsstein, wie er den grünen Kristall nannte, der ihm auf unerklärliche Weise half sich in der Wüste zurechtzufinden. Die Beobachtungen, die er dabei machte, schlugen sich in weiteren Aufzeichnungen nieder, die schnell auf ein bereits dicht beschriebenes Stück Pergament gekritzelt wurden. Endlich klappte er das Karawanenlogbuch zu, warf noch einen Blick auf seinen Schmierzettel und meinte: »Ich habe noch einmal alles überprüft. Dies ist der zwanzigste Tag in der Mara und der fünfunddreißigste, seit wir uns von Baltan getrennt haben. Von Beli-Mekesch bis hierher haben wir ziemlich genau tausend Meilen zurückgelegt. Das lässt keine Zweifel offen.«
Als der Karawanenführer die fragenden
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