Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
der Besatzung entgegen und einer von ihnen hatte Holzspäne am Hemd. Ich konnte sogar einen Blick auf die Mücke erhaschen und sehen, dass man gerade dabei war, die neue Ruderpinne einzupassen.«
»Und was bedeutet das für uns?«, wollte Yonathan wissen.
»Dass wir höchstens noch einen Tag haben, um unsere Flucht zu planen und auszuführen.«
»Wird uns das reichen?«
»Es muss! Wenn es heute nicht dieses Durcheinander an Deck gegeben hätte, dann wäre die Mücke gewiss heute schon fertig geworden und möglicherweise wäre Benith dann schon morgen früh abgereist. So aber schätze ich, dass er erst übermorgen in See stechen wird.«
Yonathan seufzte. Er fragte sich, ob er je einmal wieder normal reisen würde. »Ich nehme an, du hast auch schon einen Plan für unsere Flucht ausgearbeitet.« Es war eigentlich keine Frage, eher eine Feststellung.
»Ja, so ziemlich«, bestätigte Gimbar und rieb sich die Nase. »Es fehlen nur noch einige Details.«
Wieder auferstanden
Der Wind hatte gedreht. Er wehte jetzt von Südosten. Als sich die Sonne bereits dem Horizont näherte, wurde die Narga mit dem Bug in den Wind gestellt. Yonathan, Yomi und Gimbar hörten das Knarren von Spanten, Planken und Tauwerk. Die gedämpft hereindringenden Laute wurden jäh durch ein ohrenbetäubendes Freudengeschrei abgelöst.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Yomi. »Warum brüllen sie plötzlich alle so unheimlich laut?«
Gimbar zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hat der Kapitän vorzeitig das Bierverbot aufgehoben.«
Yonathan überkam ein merkwürdiges Frösteln. Seine Finger umklammerten Haschevet und er schien einem fernen Geräusch zu lauschen. »Nein, das glaube ich nicht«, murmelte er, ohne seine Freunde anzublicken. »Es ist etwas anderes.«
Yomi warf Gimbar einen fragenden Blick zu. Doch der neigte nur den Kopf zur Seite und hob die rechte Augenbraue.
Die Freudenrufe an Deck der Narga verebbten langsam und gingen in allgemeine Geschäftigkeit über. Stunden später öffnete sich die Deckenluke und eine Wache zeigte ihr bärtiges Gesicht. Ein auffallendes Grinsen lag darin. Der Mann ließ einen Korb mit dem Abendessen herab.
Die Eingekerkerten hatten keinen Blick für das besonders reichhaltige Mahl. Stattdessen rief Gimbar zu dem Wächter hinauf: »Warum ist bei euch da oben so ein Lärm?«
Der Gefragte grinste noch breiter. Dann zog er das Seil zu sich herauf und warf die Klappe laut knallend zu. Während er sich entfernte, drang dumpf sein schallendes Gelächter herab.
Yonathan griff sich einen Kanten Brot und begann lustlos zu kauen. Yomi machte seiner Beunruhigung Luft. »Sind die da oben verrückt geworden?«
»Bleib ruhig, Langer«, mahnte Gimbar. »Wir haben alle bemerkt, dass sich da oben was Besonderes getan hat. Etwas, worüber sie sich freuen. Und das ist für uns bestimmt nicht erfreulich. Es wird höchste Zeit, dass wir uns für die Gastfreundlichkeit bedanken und Weiterreisen.«
»Du scheinst mir ein unheimlicher Witzbold zu sein. Einfach ›weiterreisen‹ – als wenn das so leicht wäre!«
»Wart’s ab, Langer. Wenn sie das schmutzige Geschirr hinaufgezogen haben, werde ich euch meinen Plan erklären.«
Die Luke öffnete sich erneut und die Gefährten fuhren zusammen, als das Ende einer Strickleiter neben ihnen auf den Boden knallte. Grinsend rief der Wächter von oben herab: »Du, Junge, der du dich Yonathan nennst, komm herauf! Und wenn du nicht willst, dass ihr alle als Nachspeise unsere Speere zu schlucken bekommt, dann lass deinen verdammten Stab da unten, hörst du? Sethur möchte dich sprechen.«
Sicher, Yonathan hatte dieses Frösteln verspürt, als das Freudengeheul an Deck der Narga ausgebrochen war. Aber wie hätte er wissen sollen, dass wirklich Sethur die Ursache dafür war? Nein. Er hatte es gewusst. Nur wollte er sich dieser Wahrheit nicht stellen. Aber das war natürlich kindisch! So würde er nie ein Mann werden. Er musste der Wahrheit ins Gesicht blicken. So, wie er es in der eisigen Kälte des Südkamm-Gebirges getan hatte. Wenn Sethur auch nicht getötet worden war, so hatte er, Yonathan, – oder eigentlich die Macht Yehwohs, die durch den Stab Haschevet floss – den Heerführer Bar-Hazzats doch für einige Zeit unschädlich gemacht. Warum sollte ihm das nicht wieder gelingen?
Eine hölzerne Tür schwang vor ihm auf und gab den Blick in eine große, von den Flammen vieler Lampen erleuchtete Kajüte frei. Yonathan blinzelte, bis sich seine Augen an die
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