Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
Helligkeit gewöhnt hatten. Rauchschwaden hingen im Raum. Hier gab es kaum Möbel, dafür aber sechs bewaffnete Wachen. Wozu so viel Aufwand, da er doch ohne Stab wehrlos war? Schätzte man seine Kräfte so hoch ein?
Durch das gelb-milchige Etwas, das den Raum erfüllte, drang eine Stimme an sein Ohr. »Ihr seht aus, als wäret Ihr überrascht, mein junger Freund.«
Obwohl Yonathan bisher nicht mehr als eine schemenhafte Gestalt zu erkennen vermochte, wusste er sehr genau, wer da gesprochen hatte. Seltsamerweise entdeckte er Erleichterung unter all der Beklemmung, die die Gegenwart dieses Mannes stets verströmte. Er versuchte seine Gefühle zu ordnen und äußerlich unbewegt zu erscheinen.
»Das sagtet Ihr bereits, Sethur. Im Verborgenen Land. Ich bin sicher, dass die Überraschung Euch seitdem ein vertrauterer Begleiter geworden ist als mir.«
»Oh, oh! Immer noch der kleine, bockige Junge«, spöttelte Sethur. »Aber ich sehe, der Stab hat Eure Erinnerung wach gehalten. Das ist beachtlich! Aber Ihr müsst Euch nicht bemühen mich zu reizen. Das ist Euch schon bei unserer ersten Begegnung nicht gelungen.«
»Dafür war Gavroq aber umso empfänglicher dafür.«
»Gavroq!« Sethur sprach diesen Namen aus, als erinnerte er sich an einen außergewöhnlichen Wein. »Ihr habt mit Eurem Stab tatsächlich einen meiner fähigsten Hauptmänner zu Asche verwandelt.« Er schüttelte wehmütig den Kopf. »Und anschließend habt Ihr mich noch des Restes meiner tapferen Leute beraubt. Der meisten im Grünen Nebel. Sie sind dem Wahnsinn verfallen, verhungert oder verschollen. Die letzten drei sind am Tor im Süden unter Eismassen zerrieben worden. Mir scheint, Ihr habt inzwischen gelernt die Macht des Stabes Haschevet zu gebrauchen.«
»Eher umgekehrt«, widersprach Yonathan. »Ich selbst bin auch nur ein Werkzeug, aber ganz sicher war es die Macht Yehwohs, die Ihr und Eure Leute gespürt habt. Dass Ihr noch lebt, sollte Euch mit Dankbarkeit erfüllen. Ihr solltet meine Freunde und mich freilassen.«
Sethur stemmte sich hinter seinem schlichten Eichentisch hoch, um Yonathan genauer zu mustern und der staunte einmal, mehr über das jugendliche Aussehen des Heerobersten. Sicher, die Strapazen der vergangenen Wochen hatten ihre Spuren hinterlassen: Sethurs Gesicht wirkte müde, auf einer Wange zeigten sich zwei tiefe Schrammen. Aber sonst war der Heerführer unversehrt, nach wie vor bot er eine Ehrfurcht gebietende Erscheinung.
Nachdenklich und ohne Ärger über Yonathans Aufbegehren stellte er fest: »Ihr scheint reifer geworden zu sein in diesen Wochen. Bald werdet Ihr ein richtiger Mann sein. Ich verstehe die Wahl.«
Die letzte Bemerkung verwirrte Yonathan, ebenso die Anteilnahme, die darin lag. Trotzig entgegnete er: »Ihr werdet mich nicht auf Eure Seite ziehen können, Sethur. Also, was habt Ihr mit uns vor?«
»Hat es Euch Kirzath nicht gesagt?« Sethur seufzte. »Morgen bei Sonnenaufgang stechen wir in See. Ihr und der Stab werdet mit uns kommen, nach Gedor. Eure Freunde werden bei nächster Gelegenheit als Sklaven verkauft.«
Yonathan fühlte Zorn in sich aufsteigen. »Nie werde ich Euch nach Temánah begleiten!«, rief er. »Eher werde ich die Macht des Stabes gebrauchen, die Ihr ja bereits kennt.«
»Ihr würdet zuvor von den Pfeilen meiner Wachen durchbohrt werden. Erinnert Ihr Euch an unsere Begegnung im Südkamm-Gebirge? Ich sagte Euch, dass der siebte Richter den Stab nicht erhalten dürfe. Dies ist wichtiger, als Haschevet nach Temánah zu schaffen.«
Yonathans Kiefer mahlten. Verzweifelt suchte er nach einer passenden Antwort. Aber bevor ihm etwas einfiel, setzte sich Sethur wieder und bedeutete seinen Wachen, Yonathan hinauszugeleiten.
»War es wirklich Sethur?«, fragte Yomi, sobald die Luke des
Laderaumes zugefallen war.
»Ja.«
»Was ›Ja‹?«
»Es war wirklich Sethur.«
»Und? Lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen. Was hat er gesagt?«
Yonathan ließ sich erschöpft auf sein Lager fallen und starrte zur Decke. Yomi und Gimbar setzten sich zu ihm und Gurgi nahm auf seiner Brust Platz. »Die Narga sticht morgen früh in See. Er will mich mit in die Hauptstadt Temánahs nehmen und euch als Sklaven verkaufen.«
»Dann bleibt uns so oder so keine andere Wahl.« Gimbar ließ klatschend die Faust in die geöffnete Hand sausen. »Wir müssen heute Nacht fliehen.«
»Ach ja, dein Plan«, erinnerte sich Yomi an das Gespräch, das ein jähes Ende fand, als Yonathan zu Sethur abgeholt
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