Nesser, Hakan
Jack-Nicholson-Gesicht. Aber mein Vater ist
an einer Schrumpfleber gestorben, vielleicht habe ich es eh in meinen Genen.
Habe ich mal von meinem Vater erzählt?«
Ich
antworte nicht. Schaufele den Rest der Nudeln in mich hinein und denke, dass
Offenheit in dieser Stadt etwas Erstickendes an sich haben kann. Jeder
Erstbeste benutzt jeden Erstbesten als seinen Therapeuten.
Dann
fragt er nach meiner Frau. Als er Winnies Namen erwähnt, klingt es, als
spräche er von einem Gebäck. Einem leckeren kleinen Cupcake aus dem Magnolia-Cafe. Er hat sie nur ein Mal gesehen, aber
mir ist klar, dass er sie für eine Offenbarung hält.
»Wie
geht es deiner wunderbaren Frau?«, fragt er. »Findet sie in dieser verrückten
Stadt Inspiration? Findet sie das Vergessen?«
Aus
irgendeinem Grunde habe ich ihm von Sarah erzählt. Während wir bei August
sitzen, wird mir klar, dass ich alles bereue, was ich Frederick Grissman
überhaupt erzählt habe, und was mich am meisten irritiert, ist das Gefühl, dass
ich ihm nicht ausweichen kann. Ich habe eine verhältnismäßig hohe Gebühr dafür
bezahlt, dass ich das Fitnesscenter in der Greenwich Avenue ein Jahr lang benutzen kann, und jedes Mal, wenn ich
dorthingehe, besteht das Risiko, dass ich auf ihn stoße.
Ich
erkläre ihm, dass es meiner wunderbaren Frau gut geht und dass ich es ein wenig
eilig habe. Wir überspringen Dessert und Kaffee, teilen uns die Rechnung, und
als ich mich an der Ecke Grove und
Beecker von ihm verabschiede, fühle ich die übliche Mischung aus Erleichterung
und schlechtem Gewissen. Ich ertrage Menschen nicht mehr, ich bin noch nicht
einmal vierzig und schon dabei, ein Sonderling zu werden.
Aber
es ist nicht nur die Verärgerung über Grissman, die an diesem Tag an mir nagt.
Es hat auch etwas mit Winnie zu tun. Etwas, das sie mir nicht erzählt;
vielleicht hängt es damit zusammen, dass Sarah noch am Leben sein soll. Sie
ist nicht wieder darauf zurückgekommen, als ob es etwas wäre, das ich nicht
verstehe oder von dem ich mir keine korrekte Vorstellung machen kann. Ich
nehme an, es handelt sich um eine innere Überzeugung, die ihr gekommen ist;
sie kann einen Traum gehabt ha ben, in dem Sarah aufgetaucht ist und in
dem Sarah ihr erzählt hat, dass sie lebt, so etwas ist schon ein oder zwei Mal
passiert.
Sie
will natürlich meiner Skepsis aus dem Weg gehen. Wie gesagt. Ich ärgere mich
über mich selbst, das gehört auch zur Sache. Ich schleiche um sie herum wie die
Katze um den heißen Brei, aber was zum Teufel soll ich denn tun? Bitte, was?
Dieses
Bild von ihr in dem gelben Kleid auf der Bedford haftet noch auf meiner
Netzhaut. Habe ich mich wirklich geirrt? Sollte ich meine eigene Ehefrau auf
vierzig Meter Entfernung nicht erkennen? Das halte ich für ausgeschlossen.
Etwas ist mit Winnie in den letzten Tagen passiert, sie ist dabei, sich zu verändern,
und ich fühle mich mehr und mehr ausgeschlossen. Vielleicht bin ich auch
einfach nur müde; ich habe mehrere Nächte hintereinander schlecht geschlafen,
und ich wünschte, ich könnte sie einfach zur Rede stellen und direkt zur Sache
kommen. Was ist los, Winnie? Was geht hier vor? Verdammt noch mal, was? Aber
wir haben nicht mehr diese Art von Beziehung, und Doktor Vargas hat mir sehr eindringliche Instruktionen gegeben, was diese
Sachen betrifft: Nehmen Sie ihr nicht die Hoffnung. Lassen
Sie ihr die Träume von einem guten Ende, Sie müssen sie nicht unterstützen,
aber Sie dürfen sie nicht mit dem brutalen Nudelholz der Vernunft zerstören.
Das
brutale Nudelholz der Vernunft? Er drückt sich gern phantasievoll aus, unser
Doktor Vargas. Ich
überlege erneut, ob ich ihn anrufen soll, entscheide mich aber dafür, es noch
ein paar Tage aufzuschieben. Noch ein paar weitere Tage. Ich kaufe bei Out
Of the Kitchen an der Ecke Hudson/Leroy einen Becher
Kaffee und nehme ihn mit in die Bibliothek. Mr. Edwards nickt mir freundlich
aus seiner Ecke zu, wie immer, aber wir sind noch lange nicht so weit,
miteinander zu sprechen. Ich lasse mich an meinem Tisch nieder, schließe die
Augen und hole fünf Mal tief Luft. Betrachte ein paar Sekunden lang die immer
noch grünen Bäume draußen im Park, lausche den Rufen der Ballspieler, bevor ich
anfange, dort weiterzuschreiben, wo ich vor zwei Stunden aufgehört habe.
Abends
gehen wir aus, essen im A.O.C., einem kleinen französischen Lokal an der
Bedford, gleich um die Ecke unserer Wohnung. Winnie scheint offensichtlich
besorgt über etwas zu sein, sie ist nicht
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