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Nesser, Hakan

Nesser, Hakan

Titel: Nesser, Hakan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Perspektive des Gaertners
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du hier drinnen, ich werde
rausgehen und herausfinden, wo sie ist.«
    »Bist
du sicher, dass sie nicht im Haus ist?«, fragte Winnie, immer noch mit einer
Stimme, die nicht trug.
    »Das
glaube ich nicht«, antwortete ich. »Aber schau du dich doch im Haus um, dann
suche ich draußen.«
    Sie
machte jedoch keinerlei Anstalten, ihren Platz am Küchentisch zu verlassen.
Ich nickte, strich ihr etwas linkisch über den Rücken und ging hinaus. Schaute
auf die Uhr, es war kurz nach halb sieben, es würde erst in einigen Stunden
dunkel werden.
    Zuerst
suchte ich noch einmal den Garten ab, dann begann ich planlos immer größere
Kreise zu ziehen - im Buchenwald, entlang des schmalen, nicht befahrenen Wegs,
der am Haus vorbeiführte, die Treckerspuren entlang, die in verschiedenen
Richtungen über das Getreidefeld liefen.
    Ich
weiß nicht, wie viel Zeit darüber verstrich, vermutlich waren es nicht mehr als
zehn oder fünfzehn Minuten, doch während ich suchte und nach Sarah rief, wusste
ich, dass ich unter keinen Umständen ohne unsere Tochter zurück ins Haus kommen
konnte. Nicht ohne meine Tochter, der
Titel eines spektakulären Bestsellers, tauchte immer wieder kurz in meinem
Kopf auf, ich erinnere mich, dass ich das aus irgendeinem Grund unpassend fand.
Wie die meisten Eltern - unabhängig von Lebensanschauung und Glauben - es in
so einer Situation wohl tun, betete auch ich zu Gott, ein wortloses, verwirrtes
Gebet dahingehend, dass ihr nichts passiert sein möge, dass ich bereit war,
alle möglichen Opfer zu bringen, wenn sie nur nicht...
    Als
ich sie endlich fand, war es das schönste Bild, das ich jemals sehen würde in
meinem Leben. Das war mir augenblicklich klar. Nichts würde dies jemals
übertreffen können. Wenn alles einmal ein Ende finden muss, wäre dieser Moment perfekt dafür gewesen.
    Sie
kam mir auf einem der Feldwege entgegen, das reife Getreide reichte ihr fast
bis über den Kopf, sie sang leise vor sich hin und trug in der Hand einen
großen Strauß wilder Blumen. Die untergehende Sonne ruhte auf dem Waldrand im
Westen.
    »Sarah«,
rief ich, und als sie mich entdeckte, lachte sie mit ihrem ganzen Körper, wie
es nur ein glückliches Kind tun kann.
    »Ich
habe für Mama und dich Blumen gepflückt«, sagte sie. »Guck mal.«
    Als
wir die Küche betraten, saß Winnie immer noch dort am Tisch. Als sie uns sah,
fürchtete ich erneut, sie könnte ohnmächtig werden. Sie zog Sarah zu sich auf
den Schoß, umarmte sie so fest, dass es weh tun musste, aber Sarah lachte nur.
»Blumen«, sagte sie. »Es gibt tausend Blumen da draußen. Guck mal, Mama.«
    »Gütiger
Gott«, flüsterte Winnie. »Lass es nie wieder geschehen.«
     
    Doch
zehn Monate später geschah es wieder. Auch dieses Mal schickte ich Gebete zum
Himmel. Mehr und mehr gehe ich dazu über, die Episode in Wermlingen als Omen zu
betrachten.
     
    10
     
    Wir
sprachen nur selten über Judith und Frank. Ich griff das Thema manchmal auf,
aber Winnie wollte nur ungern Details preisgeben, und ich konnte sehen, wie weh
es ihr tat, zu diesen Ereignissen zurückzukehren. Es war auf dem Heimweg von
Cottbus nach Berlin passiert; Frank war mit einem größeren Projekt in Cottbus
beschäftigt gewesen, und manchmal nahm er die Tochter mit, um Winnie zu
entlasten. Die Arbeitstage konnten lang werden. Als das Unglück passierte, war
es schon nach elf Uhr abends, höchstwahrscheinlich war er hinterm Steuer
eingeschlafen.
    Viel
mehr erfuhr ich nie. Man muss vergessen
dürfen, sagte Winnie. Entschuldige, aber ich bin nicht in der Lage, darüber zu
sprechen, ich wäre dir dankbar, wenn du das respektierst.
    Und
das stimmte auch, wie ich feststellen konnte; bei den seltenen Gelegenheiten,
an denen wir über das Unglück sprachen, war Winnie hinterher jedes Mal
stundenlang in sich gekehrt und niedergeschlagen. Als sie dann entgegen ihrem
ausdrücklichen Wunsch schwanger wurde, gab es natürlich noch weniger Grund,
sie an das zu erinnern, was gewesen war. Es war Ende Januar, als sie mir
erzählte, in welchem Zustand sie sich befand, und zu diesem Zeitpunkt wusste
sie es bereits seit fünf Tagen und hatte die Tatsache akzeptiert.
     
    Vielleicht
hatte sie mit der Pille nicht aufgepasst, wie sie behauptete, vielleicht hatte
ihr das Unterbewusstsein auch einen Streich gespielt. Offenbar gefiel ihr diese
Unklarheit, und mir auch.
    Der
Zeitpunkt, den sie aussuchte, um es mir mitzuteilen, war etwas ungewöhnlich;
zumindest kommt es mir so vor, ich habe keine anderweitigen

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