Nesser, Hakan
eine Schraube locker haben,
kam mir als Erstes in den Sinn, ich weiß aus Erfahrung, dass es leider den
einen oder anderen Leser dieser Art gibt. Die Bibliothekarin bat um meine
Aufmerksamkeit, ich stopfte den Zettel in die Gesäßtasche meiner Jeans, und
erst zwei Tage später, am Montagabend, holte ich ihn wieder heraus und schaute
ihn an. Ich weiß nicht, warum ich so lange gezögert habe, aber so war es nun
einmal.
Es
stand tatsächlich ein Autokennzeichen darauf. Nachdem ich noch einmal darüber
geschlafen hatte, rief ich am Dienstagmorgen die Polizei an und erzählte, was
passiert war. Nach einigem Hin und Her wurde ich mit Inspektor Tupolsky verbunden,
ich fuhr zum Polizeirevier und legte das Papier in seine Hände.
Ich
konnte diesen Vorfall natürlich nicht vergessen, aber ich dachte auch nicht
besonders oft daran. Und ich erwähnte ihn mit keinem Wort Winnie gegenüber,
Doktor Vargas auch
nicht, wahrscheinlich, weil ich davon ausging, dass die Frau etwas dubios war
- nach gut einer Woche erhielt ich jedoch einen Anruf von Tupolsky. Er erklärte
mir, dass an diesem Tipp tatsächlich etwas dran sein könnte. Das betreffende
Auto stellte sich als ein grüner Audi heraus, Jahrgang 2003; er war am 3. Mai
2006 vom Besitzer, einem gewissen Professor Bauling, in Herrenstadt, gut
fünfzig Kilometer nördlich von Saaren, als gestohlen gemeldet worden. Das Auto
war Anfang Juni am Stadtrand von Maardam wiedergefunden worden. Man hatte es
dem Besitzer übergeben, der, wie Tupolsky erklärte, immer noch mit ihm
herumfuhr und sofort damit einverstanden gewesen war, den Wagen der Polizei für
eine gründlichere Untersuchung in der kommenden Woche zu überlassen.
Ich
nahm an dieser Untersuchung teil, indem ich dem grünen Audi gegenübergestellt
wurde. Man fragte mich, ob das Fahrzeug mit dem identisch sein könnte, das ich
am 5. Mai um 15.35 Uhr von unserem Küchenfenster in der Wallnerstraat aus
gesehen hatte, und ich erklärte, dass es sehr gut so sein könnte.
Sowohl
Form als auch Farbe stimmten mit meiner Erinnerung überein. Tupolsky und
Vendler notierten sich das mit verkniffenen Mienen, und dann fand eine minutiöse
Untersuchung des Wageninneren statt. Sie dauerte zwei Tage, zumindest wurde mir
das erklärt; ein weites Spektrum an Proben wurde genommen, versiegelt und eine
nach der anderen an das Kriminaltechnische Labor in Maardam geschickt, und
drei Wochen später kam man zum Schluss, dass es in keiner Weise möglich war,
zu beweisen, dass Sarah sich in dem betreffenden Fahrzeug aufgehalten haben
könnte. Es gab aber auch nichts, was dagegensprach, aber die passende,
entscheidende DNA war nicht gefunden worden.
Während
einiger Herbstmonate wurde außerdem intensiv nach der Frau aus der Bibliothek
gefahndet, aber auch diese Spur lief ins Leere. Man fand sie ganz einfach
nicht, obwohl man sowohl mit der Bibliothekarin, die meinen Abend organisiert
hatte, als auch mit ihren Kollegen und einem größeren Teil des anwesenden
Publikums gesprochen hatte.
Andererseits,
musste Inspektorin Vendler einräumen, als ich Anfang Dezember mit ihr sprach,
hätte jeder in der Zeitung lesen können, dass Sarah in einem grünen Auto
entführt worden war. Vielleicht war die Frau einfach nur mit einem Autodieb
verheiratet und wollte sich wichtig tun.
Ich
hätte erwidern können, dass ich keineswegs einen derartigen Eindruck von ihr
gewonnen hatte, tat es jedoch nicht. Stattdessen erklärte ich, dass ich dankbar
dafür war, dass man so viel Zeit und Arbeit darauf verwandt hatte, dieser Spur
so weit wie möglich zu folgen.
Wenn
ich mich nicht irre, war das das letzte Mal, dass ich mit irgendeinem
Repräsentanten der Polizeibehörden über Sarahs Verschwinden sprach.
28
Ich
hole meinen schwarzen Chrysler Cruiser am
Samstagmorgen kurz nach acht Uhr beim Autoverleih in der Thompson Street ab.
Es ist ein weiterer klarer, schöner Herbsttag; ich fahre den West Highway und
den Hudson Parkway hinauf
und verlasse Manhattan über die George Washington Bridge. Der Verkehr ist
ziemlich dünn, und problemlos gelange ich auf den Highway 4. Stelle etwas
verblüfft fest, dass die dichte Bebauung fast unmittelbar durch Laubwälder und
freie Felder ersetzt wird, ich fahre weiter über den Highway 17, komme an dem
einen oder anderen Stadtmoloch vorbei und gelange schließlich auf die
Interstate 87, die Richtung Norden nach Albany und
dann weiter nach Montreal in Kanada führt. Ich fahre durch eine üppig schöne
Landschaft mit glühenden
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