Nesser, Hakan
dann
anfangen?«
»Keine
Ahnung«, sagt John B. Stratton. »Hast du sonst keine Anhaltspunkte?«
»Nicht
wirklich«, gebe ich zu.
Er
überlegt eine Weile.
»Scheiße«,
sagt er dann. »Ich bin da nur ein paar Mal durchgefahren, wenn ich nach
Oneonta wollte, eigentlich ist dort nur plattes Land. Aber ich glaube, es gibt
in dem Kaff wenigstens ein Cafe, wenn man den Bach überquert, dort kannst du ja
mal fragen. Wenn es noch existiert, wie gesagt. Holy
Cow, es ist fast zwanzig Jahre her, dass ich in der
Gegend war.«
«Okay«,
sage ich. »Ich werde sehen, wie ich vorgehe.«
Dann
kommen wir plötzlich aus der Waldlandschaft heraus, und der Ort Delhi breitet
sich vor uns aus.
»Ist
egal, wo du mich rauslässt«, sagt John B.
Ich
halte in der Main Street vor einem Starbuckscafe, er bedankt sich fürs
Mitnehmen und erklärt, dass ich hinter der Feuerwache nach links abbiegen muss, sonst werde ich niemals nach Meredith gelangen.
»Viel
Glück«, sagt er.
»Dir
auch«, sage ich.
»Ach,
noch was«, sagt er, als er bereits auf dem Bürgersteig steht, den Rucksack
neben sich. »Falls du vorhast, mal hier im Land ins Gefängnis zu gehen, halte
dich fern von Texas.«
»Danke«,
sage ich. »Werd ich mir merken.«
Es
gibt tatsächlich ein Cafe an einer Kurve nahe beim Bach, und es scheint bereits
seit mindestens zwanzig Jahren zu existieren. Vermutlich eher noch seit
vierzig oder sogar sechzig Jahren. Es heißt Buffalo Zacks, ist ein braun gefleckter Holzschuppen aus
Nutbrettern, und ich stelle den Wagen zwei Meter vor der Tür ab. Drei andere
Fahrzeuge parken bereits mit der Schnauze zum Haus; zwei Pickup-Kleinlaster und
ein alter, rostiger Ford Thunderbird. Ich schaue auf die Uhr; es ist kurz nach
ein Uhr, die Fahrt von New York hat fast vier Stunden gedauert, inklusive dem
Halt in Boiceville.
Ich
ducke mich unter der schmutzigen amerikanischen Flagge, die über dem Eingang
und einem Drittel der Türöffnung hängt, und trete ein. Es herrscht Halbdunkel
im Lokal, aber ich kann es bald als Tante-Emma-Laden identifizieren, nicht nur
als ein Cafe. Hinter einem langen Tresen befinden sich alle möglichen
Kolonialwaren und Gemüse. Kalte Getränke und Milchprodukte stehen in zwei großen
Kühlschränken mit Glastüren, Konserven und so einige andere Leckereien auf den
Regalen die Wände entlang. An einem anderen Tresen, hinter einer zerkratzten
Glasscheibe, thronen diverse bunte Backwaren, und rechts von ihnen stehen eine
Kaffeemaschine und eine Frau im Hundertfünfzigkiloformat. Drei Tische mit
jeweils vier Stühlen machen das Cafe an sich aus, zwei der Stühle an zwei
Tischen sind besetzt; zwei Männer mit Cowboyhüten trinken Bier und blättern in
Zeitschriften, ohne sich um den anderen oder um mich zu kümmern. Ich wende mich
der Frau hinter dem Tresen zu und bestelle einen Kaffee mit Zucker und Milch.
Ich kann keine Espressomaschine entdecken, und wenn ich amerikanischen Kaffee
trinke, dann nehme ich immer Zucker und Milch, damit er überhaupt nach
irgendetwas schmeckt.
»Stay or go?«, fragt die Frau und atmet
dabei schwer. Ich weiß nicht, ob es an ihrer Körperfülle liegt oder ob sie
Asthma hat.
Ich
erkläre, dass ich den Kaffee hier drinnen trinken möchte. Sie nickt, schenkt
ein, und ich bezahle. Ich setze mich an den freien Tisch. Blättere in einer
Lokalzeitung, die The Daily Star heißt, und frage mich, was zum Teufel ich
jetzt tun soll. Ich befinde mich nur vier Stunden von Manhattan entfernt, aber
plötzlich habe ich das Gefühl, in einem anderen Land zu sein. Der Gedanke,
Winnie oder Sarah könnten sich hier irgendwo in der Nähe aufhalten, erscheint
mir vollkommen absurd, mir ist selbst klar, dass mein Gefühl des Fremdseins ein
wenig übertrieben ist, sicher sind sowohl die Männer als auch die Frau des
Lesens kundig, demokratisch und alles Mögliche, aber allein die Tatsache, dass
der Kaffee, obwohl ihm reichlich Milch und Zucker beigefügt wurden, nicht
einmal in die Nähe von etwas kommt, was in der zivilisierten Welt mit diesem Getränk
verbunden wird, lässt die Lebensgeister in mir wie einen Stein in einen Brunnen
plumpsen. Ich kann eigentlich ebenso gut gleich rausgehen und mir eine Kugel in
den Kopf schießen, wenn mein Leben sich immer weiter in diesem rückwärts gerichteten,
kreisenden Mahlstrom befindet.
Dann
zucke ich mit den Schultern und denke, ach, was soll's. Ziehe meine beiden
Fotos aus der Brieftasche, stehe auf und gehe zu der Frau, die immer noch wie
ein trübsinniger Berg
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