Nesser, Hakan
gedacht, oder?
Ich
weiß natürlich nicht, wie es um Jeff, diesen Halbidioten, steht, auf welche
Seite er sich stellen wird, wenn es ernst wird. Zu welchen Handlungen er in der
Lage ist. Er ist ein unberechenbarer Faktor, und das gefällt mir nicht, ich
will keine unschuldigen Menschen töten, dieser Gedanke kommt mir mit einer
Art kühlem Humanismus in den Sinn, und danach brauche ich mich keinen weiteren
Spekulationen mehr hinzugeben, da die Tür zur Veranda erneut geöffnet wird.
Ich
halte meine Waffe immer noch schussbereit, sie ruht auf dem Seitenfenster des Pick-ups, und dieses Mal mache ich mir nicht die Mühe, mich
hinzuhocken. Ich bleibe dort stehen, wo ich bin, die Waffe direkt auf Tom
Fischermans Brust gerichtet.
Er
müsste mich eigentlich bemerken, tut es aber nicht. Er geht um den anderen
Pick-up herum, öffnet die Heckklappe und scheint etwas von der Ladefläche holen
zu wollen. Ein paar Kanister und irgendwelche langen, klappernden Metallrohre.
Rücken statt Brust, denke ich, noch einfacher, und plötzlich merke ich, wie
meine rechte Hand mit dem um den Abzug gekrümmten Zeigefinger anfängt zu
zittern und sich so etwas wie ein Vibrieren in meinem Körper fortpflanzt.
Vielleicht ist es Angst. Werde ich gar nicht in der Lage sein, abzudrücken? Ich
bin kurz davor zu hyperventilieren, die Vibrationen nehmen zu, aber im nächsten
Moment tritt auch noch Jeff Fischerman auf die Veranda, und das ändert die
Lage.
Denn
Jeff Fischerman, der Halbidiot, entdeckt sofort meine Anwesenheit. Er bleibt
mitten im Schritt stehen, dann hebt er langsam die rechte Hand und zeigt in
meine Richtung, während er seinen Kopf in wilden Zuckungen hin und her wirft.
Erst nach ein paar Sekunden sind Worte von ihm zu hören oder eher Laute, ein
unartikulierter Ton, der offensichtlich dazu gedacht ist, den Vater zu warnen.
Doch
noch bevor dieses Geräusch verklingt und noch bevor Tomas Fischerman sich
umdrehen kann, um zu sehen, worauf sein debiler Sohn zeigt, habe ich meine
Lähmung überwunden und abgedrückt.
Der
Schuss klingt genauso ohrenbetäubend wie jeder einzelne der zwölf Schüsse, die
ich am frühen Morgen in den Kiefernstamm abgegeben habe, und er trifft Tomas
Fischerman zwischen den Schulterblättern. Ich bin wirklich kein so schlechter
Schütze. Er fällt schräg nach rechts, weil er sich gerade umdrehen wollte, und
der Körper landet schwer im Kies hinter dem Wagen. Eine pathetische Sekunde
lang versucht er in Sicherheit zu kriechen - oder worum es auch immer gehen
mag, es ist jedenfalls das Letzte, was in seinem erlöschenden Bewusstsein noch
Platz findet -, doch nach einem halben Meter bricht er in sich zusammen,
bleibt reglos wie ein umgekippter Grabstein liegen und ist nach allem zu
urteilen tot.
Ich
hebe den Blick und betrachte Jeff Fischerman. Er steht immer noch auf der
Verandatreppe, den Arm immer noch ausgestreckt, den Mund immer noch offen,
aber es kommt kein Ton mehr heraus. Es vergehen einige Sekunden, er starrt mich
an, ich starre ihn an. Mir ist klar, wie unglaublich einfach es wäre, ihn
ebenfalls zu erschießen, aber irgendetwas hält mich zurück. Vielleicht ist es
trotz allem dieser kühle Humanismus, und während ich zögernd dastehe, kommt er
vorsichtig auf den Hof, geht um den Pick-up herum, bleibt stehen und starrt seinen
auf dem Boden liegenden Vater an.
Ein
paar Sekunden lang bleibt er so stehen, vollkommen reglos, in einer
unnatürlichen Pose, eine Hand vor dem Mund, die andere gehoben, die Finger
gespreizt, als wäre er gerade im Begriff, einen Ball aufzufangen, den ihm
jemand zuwirft. Dann steigt er über den Körper seines Vaters und versucht so
schnell wie möglich davonzukommen.
Er
geht in weniger als fünf Metern Entfernung an mir vorbei, ohne mich anzusehen,
und weiter den Waldweg hinunter zur Haughtaling Hollow Road. Ich kann hören, dass er ein leises, irgendwie jammerndes
Geräusch von sich gibt.
Doch
nicht ein einziges Mal sieht er mich an. Nicht ein einziges Mal.
Ich
bleibe fünf Minuten lang stehen. Es gibt keinen Grund, das zu tun, aber es
fällt mir schwer, mich zu bewegen. Etwas ist geschehen, und als ich endlich
über den Hof auf das Haus zugehe, sind meine Beine schwer, und mein Bewusstsein
scheint in einen dicken Nebel gehüllt. Ich gehe an Tom Fischermans schwerem
Körper auf dem Kies vorbei und unterdrücke den Impuls, mich hinunterzubeugen
und ihn zu berühren.
41
Ich
mache die Tür auf und gehe ins Haus. Ein Potpourri unsauberer Gerüche
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