Nesser, Hakan
schlägt
mir entgegen. Alter, eingewachsener Schmutz, abgestandener Tabakrauch.
Schimmel? Ich bleibe in der Türöffnung stehen und schaue mich um. Ein großer,
rechtwinkliger Raum und eine Küche im Erdgeschoss. Wahrscheinlich ein
kleineres Schlafzimmer hinter der Treppe links. Die Möbel sind abgenutzt und
zusammengewürfelt. Ein massiver Esstisch aus braunem Holz mit sechs
abgewetzten Stühlen. Zwei durchgesessene Sofas, ein Fernseher, ein voll
beladener, niedriger Tisch. Zeitungen und Müll. Ein Schaukelstuhl und etwas,
das eine Bärenfalle sein muss, auf dem Boden vor einem offenen Kamin. Etwas
anderes, das wahrscheinlich nur ein Rinderkopf ist, aber mit gelben und
schwarzen Streifen bemalt, an einer der Wände. Diverse kleinere Schränke,
Kommoden und Stehlampen. Ich schließe die Tür hinter mir und lausche.
Eine
Geschirrspülmaschine arbeitet, das ist das Einzige, was ich hören kann. Sie
stellt alle anderen Geräusche in den Schatten. Die leise Anwesenheit eines
Kindes beispielsweise. Den Herzschlag in meinem Brustkorb. Die Treppe zum
Obergeschoss hinauf liegt links, ich gehe langsam hoch, ein vorsichtiger
Schritt nach dem anderen. Diese Vorsicht ist unbewusst, ich weiß nicht, warum
ich sie als nötig empfinde, denn wenn ich Recht habe, dann befinden sich nur
meine Tochter und ich im Haus. Sarah und ich, ich und Sarah. Ich halte die Remington Shackville in der rechten Hand, und ich gelange auf einen
schmalen Flur, der von einem Giebel zum anderen verläuft. Hier oben ist es
dunkler, das spärliche Licht, das durch zwei schmutzige Fensterlöcher dringt,
reicht nur wenige Meter auf den Flur.
Einige
Türen auf beiden Seiten; alle sind sorgfältig verschlossen, aber es fällt mir
nicht schwer, die richtige zu finden. Bevor ich sie erreiche, spreche ich
vorsichtig ihren Namen aus; nicht richtig, habe ich das Gefühl, eher als eine
Art Vorwarnung. Ich will, dass sie weiß, dass jemand draußen auf dem Flur ist,
jemand, der warmherzig ist und der sie retten wird. Aber ich will nicht, dass
sie antwortet, dass sie versteht, dass ich es bin, ihr Vater.
Noch
nicht, es ist schwer zu sagen, warum, es handelt sich vermutlich um eine Art
diffuser, falsch geleiteter Vorsichtsmaßnahme, genau wie schon vieles sonst in
meinem Leben falsch geleitet war.
Ich
lege die Hand auf die Türklinke. Die Klinke sitzt rechts, wird nach links
gedrückt. Verschlossen, natürlich ist es verschlossen. Und die Tür sieht
massiv aus; als ich mich probehalber mit der Schulter dagegenstemme, rührt sie
sich nicht einen Millimeter. Aber es gibt ein Schlüsselloch, groß, dunkel und
geheimnisvoll; ich beuge mich vor, lege den Mund ans Loch und flüstere.
»Sarah.«
Kein
Grund, länger zu zögern. Aber keine Antwort. Nicht ein Geräusch da drinnen. Ich
versuche es noch einmal, etwas lauter.
»Sarah.
Kannst du mich hören?«
Ich
registriere, dass jemand seine Position verändert. Ein Stuhl, der weggeschoben
wird, und vorsichtige Schritte drinnen im Raum. Vielleicht nähert sie sich der
Tür, ich weiß es nicht. Ich versuche etwas durchs Schlüsselloch zu erkennen,
aber da ist nur Schmiere und Dunkelheit.
»Sarah,
ich bin es. Papa.«
»Papa?«
Die
Stimme ist so schwach, dass ich sie kaum verstehe. »Sarah, ich bin gekommen, um
dich hier rauszuholen. Alles wird gut.«
»Papa?«
Jetzt
etwas kräftiger, aber vollkommen tonlos. Wie ein altes Wort, das sie einmal
gehört hat, dessen Bedeutung sie aber nicht mehr kennt. Ich richte mich auf und
drücke noch einmal mit der Schulter gegen die Tür. Ein kraftloser, sinnloser
Versuch.
»Ich
muss nur erst durch diese Tür hier kommen, Sarah. Ich habe keinen Schlüssel,
deshalb muss ich sie aufbrechen. Hab keine Angst!«
Ich
warte auf eine Antwort, doch es kommt keine. Keine Worte, keine Bewegung da
drinnen. Eine plötzliche panikartige Verzweiflung überfällt mich. So weit bin
ich gekommen. Bis hier. Nur noch eine verschlossene Tür trennt mich von meiner
Tochter, die ich seit anderthalb Jahren nicht mehr gesehen habe und von der ich
fast die ganze Zeit geglaubt habe, sie wäre tot - und jetzt komme ich nicht
durch diese verfluchte Tür!
Ein
Filmklischee taucht auf, und ich schlucke es, lehne mich mit dem Rücken weit
zurück an die Wand, nehme Anlauf und gebe der Tür gleich unter der Klinke einen
heftigen Tritt. Nichts passiert, nur mein Bein schmerzt. Vielleicht hat Sarah
etwas gerufen, drinnen im Zimmer, aber dann hat sie es genau in dem Moment
getan, als mein Fuß die Tür traf, und ich
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