Nessie und die Geister der MacLachlan
Ohren faßten sich nicht wie Katzenohren an, sie waren länger.
Vorsichtig stieg er aus dem Bett und tastete nach seinem Koffer, der auf dem Tisch lag. Endlich, nachdem er einen Stuhl umgestoßen hatte, fand er ihn. Irgendwo unter seiner Unterwäsche mußte die Stabtaschenlampe liegen, die er mitgebracht hatte. Und da fand er sie auch. Als er sie anknipste, sah er, was in seinem Bett lag. Es war ein Kaninchen, und es sah genauso aus wie das Kaninchen, das er aus der Schlinge befreit hatte. Es lag da und schlief offensichtlich mit offenen Augen, oder es tat nur so, als merke es nichts. Und das Licht der Taschenlampe ließ die Augen rötlich schimmern.
Die Frage, ob es dasselbe Kaninchen war, das er befreit hatte, interessierte ihn im Augenblick weniger. Ihn beschäftigte vielmehr die Frage, wie das Tier überhaupt in sein Zimmer gekommen war. Das Fenster war nur einen Spalt offen, draußen regnete es noch immer, leise und unentwegt, und die Tür war verschlossen. Er überprüfte das noch einmal, der Schlüssel steckte im Schloß, und die Tür rührte sich nicht, als er an der Klinke rüttelte. Da man sich vor Kaninchen im allgemeinen nicht fürchten muß, schlich er in sein Bett zurück, freute sich, daß das Kaninchen ein wenig zur Seite rückte, um ihm Platz zu machen. Also konnte er die Taschenlampe ausknipsen und versuchen zu schlafen.
Das war jedoch leichter gesagt als getan. Der Gedanke, daß ein Kaninchen neben ihm im Bett lag und daß er nicht wußte, wie es in sein Zimmer gekommen war und wer es hätte hereintun sollen, dieser Gedanke hielt ihn lange wach.
Das Kaninchen und das gewaltige Wassergeplätscher im Badezimmer, das ergab auch keinen Zusammenhang. Er hatte noch nie ein Kaninchen schwimmen sehen.
Cedric lag auf dem Rücken, spürte, wie das Kaninchen, das rechts von ihm lag, an seiner Hüfte emporkroch, bis es zwischen Arm und Brustkorb angelangt war, da schüttelte es sich zurecht, legte den Kopf auf Cedrics Schulter, seufzte und schlief ein.
Cedric mußte aber an den Lärm im Badezimmer denken,
das hatte sich wie die Brandung bei Sturm an der Küste von Cornwall angehört. Es war doch unmöglich, daß eine der Tanten auch bei größter Anstrengung ein solches Geräusch zuwege brachte. Wenn, dann überhaupt nur Tante Jessie, die groß und massiv war.
Wenn er aufstand, nahm er sich vor, dann würde er sehr genau auf die Gespräche von Tante Jessie und Tante Sarah achten und vor allem Goody fragen, ob die etwas gehört hatte.
Und dann würde er ganz schnell an der Truhe vorbeilaufen ohne hinzusehen, ob der Hochländer Allan Campbell MacLachlan drauf saß.
Rätsel über Rätsel
Als Cedric am nächsten Morgen die Treppe herunterkam, traute er seinen Augen nicht. Tante Jessie stellte gerade ihren riesigen im Schottenkaro gemusterten Regenschirm ab, lockerte die Schleife unter ihrem kantigen Kinn, mit der sie ihren wasserdichten Hut stramm auf dem Kopf befestigt hatte, zog dann den riesigen Mantel aus Ölhaut aus und stand nur noch in Pullover und einer Gummihose da, die bis unter die Achseln reichte und unten in grüngelben Gummistiefeln endete.
Der Guten-Morgen-Gruß erstarb Cedric fast auf den Lippen, als er Tante Jessie so dastehen sah, denn er hatte vorhin in seinem Zimmer noch schnell einen Blick aus dem Fenster auf den Loch geworfen. Es regnete zwar noch immer, aber nicht so, daß man sagen konnte, es goß in Strömen.
Tante Jessie bemühte sich zu lächeln und rief: „Guten Morgen, mein Baby“, was Cedric zusammenzucken ließ. Dann ging sie mit ihren Fischerstiefelhosen und dem großen Einkaufskorb in die Küche. Cedric folgte ihr, blieb aber in der Tür stehen.
Tante Jessie legte eine Schaufel Kohlen auf die Glut des altertümlichen Küchenherdes und sagte: „Gleich werden wir ein gutes Frühstück haben. Was willst du denn gerne? Tee oder Schokolade, Ham and Eggs? Oder soll ich dir ein Kotelettchen braten? Ich könnte auch ein paar Nierchen in die Pfanne werfen, ganz wie du willst, mein Junge. Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages, da mußt du ordentlich futtern, damit die Maschine in Schwung kommt.“
Cedric räusperte sich, dann fragte er: „Wo warst du denn, Tante Jessie?“
„Ich? Ach, ich war einkaufen, unten beim Krämer, es ist nicht allzu weit mit dem Fahrrad. Das schaff ich noch. Nur nach Inverness, das fällt mir schon ein wenig schwerer mit meinen fünfundachtzig Jahren. Da fährt meistens Sarah hin, sie ist ja auch die jüngere. Mit ihren
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