Nesthäkchen 01 - Nesthäkchen und ihre Puppen
ich weiß gar nicht, was ich mit dem ungezogenen Kinde anfangen soll, es ist so schrecklich bockig!« sagte die Puppenmutter ratlos und stellte Gerda in die Ecke.
»Vielleicht ist sie krank«, begütigte Fräulein Lena.
»Krank - ja, das ist möglich, am Ende hat sie den Keuchhusten!« Gerda wurde wieder aus ihrer Sofaecke hervorgeholt, die kleine Doktorstochter fühlte ihr den Puls und legte ihr Babys Puppenbadethermometer unter den linken Arm, um zu sehen, ob sie Fieber habe.
»Fräulein, sie hat sechsundsiebzig Grad, das Kind hat schrecklich hohes Fieber, es muß sofort ins Bett!« Ehe Gerda wußte, wie ihr geschah, war sie ausgezogen und lag im Bett von Irenchen und Mariannchen, trotzdem sie sich ganz gesund fühlte.
Dann schickte das besorgte Mütterchen ihren Puppenjungen Kurt zu Doktor Puck.
Der lag auf dem Sofa, auf dem er eigentlich gar nicht liegen durfte, und hielt sein Mittagsschläfchen. Aber er wollte nachher mit herankommen und nach der Kleinen sehen.
Nein, was bekam Gerda für einen Heidenschreck, als sich plötzlich die Mullgardine des Himmelbettes zurückschob, und das weißbärtige Gesicht des Doktors Puck erschien. »Ich bin ja gar nicht krank, ich bin ja ganz gesund«, rief sie, aber keiner hörte auf sie.
Doktor Puck legte ihr seine kalte Pfote auf die Stirn, sah sie aufmerksam an und sagte dann achselzuckend: »Wauwau«. Das hieß auf deutsch: »Ja, ich weiß auch nicht, was Ihrer Kleinen fehlt.«
Da beschloß Annemarie, einen ganz berühmten Doktor zu Rate zu ziehen.
Es war nach der Sprechstunde als die Patienten schon alle wieder gegangen waren. Da klopfte es bescheiden an die Tür von Doktor Brauns Sprechzimmer.
Der Arzt erhob sich und öffnete die Tür zum Warteraum. Hatte er etwa einen Patienten vergessen?
Vor ihm stand eine kleine Dame mit einem Mantel, der eine lange Schleppe hatte. Auf dem Kopf hatte sie einen schönen Federhut, der Doktor Braun sehr bekannt vorkam und unter welchem zwei winzige Rattenschwänzchen hervorlugten. Im Arm aber hielt sie etwas Längliches, und in ein großes Tuch geschlagen.
»Guten Tag, Herr Doktor, mein Kind ist so krank!« sagte die kleine Dame mit verstellter Stimme und machte ein bekümmertes Gesicht.
»Oh, das tut mir aber leid, treten Sie näher, gnädige Frau, bitte, setzen Sie sich«, damit wies Doktor Braun auf den Patientenstuhl.
Selig nahm Annemarie, denn sie war die kleine Dame mit Muttis schönem Federhut, Platz.
»Zeigen Sie die Kleine mal her, gnädige Frau«, gebot der Arzt.
Das große Tuch wurde auseinandergeschlagen, und Gerda kam zum Vorschein.
»Na, mein Herzchen, was fehlt dir denn?« fragte der Herr Doktor sie freundlich, daß Gerda sich lange nicht so vor ihm fürchtete wie vor Doktor Puck.
»Ich glaube, das Kind hat den Keuchhusten«, sagte die kleine Mama an ihrer Stelle.
»Hustet sie denn sehr?«
»Nein, gar nicht, aber sie hat sechsundsiebzig Grad Fieber.«
Der berühmte Arzt zog sein schwarzes Hörrohr vor, setzte es Puppe Gerda auf die Brust und legte sein Ohr an die andere Seite des Hörrohrs.
Dann beklopfte er sie noch, während Annemarie stolz dachte: »Vater untersucht viel feiner als Puck!« Darauf sagte der Herr Doktor beruhigend: »Die Kleine scheint sich nur erkältet zu haben.«
»Nicht mal Keuchhusten?« Die Mutter schien damit nicht recht zufrieden.
»Nein, ihr Hals ist nur etwas geschwollen, ich werde ihr einen Verband machen, dann ist sie morgen wieder ganz gesund.« Doktor Braun holte Verbandszeug und machte Puppe Gerda einen so schönen Verband, daß sie den Kopf nicht mehr bewegen konnte.
»So, gnädige Frau, nun ist die Kleine fertig.«
Aber die »gnädige Frau« erhob sich noch nicht, sie sah den Arzt mit bettelnden Augen an.
»Wünschen Sie noch etwas, gnädige Frau?«
»Ich möchte so gern auch solch feinen Verband haben«, kam es mit einem Seufzer von den Lippen der kleinen Dame.
»Sie - gnädige Frau«, der berühmte Arzt sah mit einem Male merkwürdig lustig drein, »aber Sie sind doch ganz gesund. Oder fehlt Ihnen irgend etwas?«
»Ich - meine beiden Daumen tun mir so weh, das kann am Ende Lungenentzündung werden«, meinte die kleine Dame besorgt. Dabei wies sie dem Herrn Doktor ihre Däumchen, die zwar etwas schwärzlich, aber durchaus heil waren.
»Ich werde Ihnen ein Rezept schreiben, gnädige Frau, nehmen sie tüchtig Waschungen mit Seife vor«, verordnete der Arzt.
Aber damit war Annemarie nicht einverstanden. Sie wollte ihren Verband haben!
Die »gnädige Frau«
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