Nesthäkchen 02 - Nesthäkchens erstes Schuljahr
das fein!«
»Au - fein!« rief auch Klein-Annemarie lebhaft, und ihre Blauaugen blitzten dabei nicht weniger als die Braunaugen von Klaus.
»Und morgen nimmt er mich wieder mit, und da darf ich die Milch austragen in die Häuser wie ein richtiger Milchjunge. Ist das nicht wundervoll?«
Ja, es war wundervoll. Annemarie fand gar keine Worte, um ihrer Begeisterung Ausdruck zu verleihen. Brennend gern wäre sie auch dabeigewesen und hätte mit der großen Klingel gebimmelt.
»Kläuschen«, sagte sie und schlang ihre Ärmchen in plötzlicher Zärtlichkeit um den Hals des Bruders, »nimm mich doch mit, Kläuschen!«
Aber Kläuschen schüttelte den braunen Krauskopf.
»Nee, dann kommt's raus!«
»Ach wo, ich bin jeden Morgen vor Fräulein Lena und Mutti unten. Bis zum Frühstück sind wir längst wieder da. Und wenn du die Milch austrägst, könnte ich so schön inzwischen bimmeln; bitte, bitte, liebes, süßes Kläuschen!«
Der Junge schien schwankend zu werden.
»Ich schenke dir auch meine Streichholzschachtel mit Marienkäferchen!«
Einem solchen Angebot konnte Klaus nicht widerstehen. Die Streichholzschachtel mit den durcheinander kribbelnden roten Käfern wanderte aus der Tasche des geblümten Bauernkleidchens in seine Hosentasche.
»Also morgen früh um halb sieben - und nichts verraten, sonst verwichse ich dich doll«, so wurde das Geheimnis noch von Klaus besiegelt.
Keines von den beiden ungehorsamen Kindern dachte an Vaters heute erst ergangenes Verbot, den Garten nicht vor dem ersten Frühstück zu verlassen. Oder vielmehr, sie wollten nicht daran denken. Die Fahrt auf dem Milchwagen war zu verlockend.
Nur Puppe Gerda, die alles mit angehört hatte, dachte an das, was Vater gesagt hatte. Sie war sehr ärgerlich auf Klaus, daß der auch jetzt noch ihre Annemarie zu seinen Streichen verleitete. Bittend sah sie ihr kleines Mütterchen an, doch von dem ungezogenen Vorhaben abzulassen.
Aber Annemarie achtete nicht auf ihre Gerda. Auch die kleinen, endlich wieder herausgelassenen Meergänschen lockten sie heute nicht zum Spiel.
Ihre Gedanken weilten den ganzen Nachmittag bei dem Milchwagen und der großen Klingel, die sie morgen selbst in Bewegung setzen wollte.
Als Puppe Gerda sich beim Gutenachtkuß besonders an Klein-Annemarie schmiegte, um sie durch ihre Liebkosungen anderen Sinnes zu machen, da verstand Nesthäkchen wohl, was ihre Puppe von ihr wollte.
Aber sie deckte sie schnell bis über die kleine Porzellannase mit ihrer Bettdecke zu, um Gerdas vorwurfsvolle Miene nicht sehen zu müssen.
Als die Glocken von dem Waldkirchlein drüben bim - bam - bim - bam den neuen Morgen einläuteten, glaubte Annemarie, die Klingel des Milchwagens riefe sie schon. Mit beiden Beinchen sprang sie aus dem Bett.
Waschen durfte sie sich des Morgens schon selbst, da Fräulein Lena sie jeden Abend gründlich abscheuerte. Flink in das Kleidchen geschlüpft und die Locken gebürstet.
Die kleinen Meergänschen schienen noch alle zu schlafen. Nur Mutter Meergans schaffte in der Küche. Annemarie machte einen großen Bogen um sie herum, weil sie ein schlechtes Gewissen hatte.
Nicht lange dauerte es, da erschien auch Klaus, der Anstifter, auf der Bildfläche.
»Pst - schleich mir nach«, flüsterte er. Wie bei dem beliebten Spiel »Weißer und Indianer«, so huschten die beiden ungezogenen Kinder am Waldsaum entlang, hinaus auf die Straße.
Herzklopfend blieb Nesthäkchen stehen, als das Gartentor sich hinter ihr schloß.
»Du, Klaus, wenn Vater nun böse ist, und Mutti uns am Ende gar haut?« begann sie zögernd.
»Haach - du olle Memme, bleib doch zu Haus, wenn du bange bist, dann bimmele ich eben allein. Aber wehe dir, wenn du klatschst!«
Nein, Klaus sollte nicht ohne sie bimmeln! Die artige Anwandlung verflog im Nu wieder bei Nesthäkchen. Hand in Hand rannten die beiden Geschwister die Straße hinab.
Dort unten stand bereits der weiße Milchwagen.
Der Milchmann, ein freundliches Männlein, knallte lustig mit der Peitsche, als er seines kleinen Freundes ansichtig wurde.
»Na, hast du dir noch Gesellschaft mitgebracht?« fragte er schmunzelnd.
»Ja, meine kleine Schwester«, stellte Klaus großartig vor. Annemarie machte einen tiefen Knicks.
»Also denn hoppla!« Damit hob der Milchmann die Kleine auf den Bocksitz. Klaus, stolz seine Hilfe verschmähend, kletterte selbständig hinterdrein. Der Junge bekam die Peitsche zum Knallen, Annemarie - o Glück - die große Klingel.
Klinglingling - lustig bimmelte
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