Nesthäkchen 03 - Nesthäkchen im Kinderheim
wo das Meer allerlei heranspülte, auch noch Schmuckstücke der alten Wikinger zu finden sein müßten.
Annemaries Schwanken war vorbei. Einen Ring wünschte sie sich schon lange.
Was würde bloß Gerda sagen, wenn sie mit einem goldenen Wikinger-Ring zurückkam! Peter dagegen hoffte bestimmt, ein silbernes Schwert zu finden.
Glänzte es da nicht golden in der braunen Erde? Ach nein, das war nur ein Stückchen Bernstein, welches das Meer herangeschwemmt hatte. Aber dort - nein, da - noch ein Stückchen mehr nach links, dort flimmerte es doch silbern - wieder nichts, nur ein feuchter, in der Sonne blitzender Stein hatte sie angelockt. Immer weiter und weiter eilten die Kinder, sie wollten, sie mußten doch irgendetwas finden.
Keins von ihnen sah, daß die Sonne sich verkrochen hatte, daß schweres, schwarzes Gewölk von Nordwest heraufzog.
»Peter - wir müssen umkehren! Es ist gar nichts mehr von Miß John und den übrigen zu sehen«, rief plötzlich Annemarie.
Der Junge machte widerwillig halt. Er ging nur schwer von etwas ab, was er sich mal in den Kopf gesetzt hatte.
»Meinst du wirklich?« Peter zögerte noch immer.
Aber was war das? Ein Heulen, ein Brausen und Tosen plötzlich in den Lüften war das nur der Sturm? Große Tropfen schlugen vom gelblich düsteren Himmel und durchnässten die Kinder. Wie ein Wirbel packte sie der Nordwest, daß sie kaum die Augen zu öffnen vermochten.
Da - wieder dieses Heulen und Brausen - und jetzt ein deutliches Gurgeln und Wogen dazwischen …
»Peter - Peter - die Flut kommt!« entsetzt schrie es Annemarie in das Toben der Elemente hinein.
»Schnell zurück zum Strand!« Der kräftige Junge packte das zarte Mädel, das sich kaum vor der Gewalt des Nordseesturmes aufrecht halten konnte und zog es mit sich fort.
Ja, wo war der Strand? Sie wußten es alle beide nicht mehr. Bei dem Kreuz-und Querlaufen hatten sie vollständig die Richtung verloren. Nichts wie eine unendliche weite, braune Fläche ringsum, wohin sie auch blickten, und da -wieder das Gurgeln und Brausen, nicht nur hinter ihnen, nein, von allen Seiten kam die Flut.
Die Erde unter ihren nackten Füßen quietschte vor Nässe. Aus dem Boden heraus sprangen die Wasser, schon überspülten kleine Sturzwellen ihre Füße bis zum Knöchel.
»Ich glaube, wir laufen in verkehrter Richtung -wir laufen der Flut noch entgegen!« Auch Peter, dem so leicht nicht bange zumute wurde, war jetzt blaß.
Wieder wurde kehrtgemacht - aber nein, da wälzten sich ja schon die schwarzgrünen Wogen brausend und unheilvoll wie eine alles niederreißende Mauer aus der Ferne auf sie zu - »Zurück - zurück, das Meer kommt!« Wie gejagt eilten die Kinder vor der sie verfolgenden, hinter ihnen herbrüllenden Brandung davon.
Immer dunkler wurde es - durch das Unwetter zog der Oktoberabend früher als sonst herauf. Die Kräfte der Kinder erlahmten allmählich, die Füße erstarrten in der kalten Nässe. Aber weiter, nur immer weiter - daß die hinter ihnen herrasende Sturmflut, die donnernde und brausende, sie nicht packte!
War denn noch immer kein Strand zu sehen? Endlos dünkte sie die braune Ebene, die sie durchjagten. Kaum ließ sich noch Boden von Wasser unterscheiden.
Schwarz alles ringsum.
Ein Licht - jäh durchbrach es plötzlich die Finsternis. Noch einmal tauchte es auf, und wieder - dann alles dunkel wie zuvor.
Barmherziger Himmel - war das ein Irrlicht? Einer von den bösen Geistern, welche die schlechten Menschen ins Heidemoor locken? Oft genug hatte Mutter Antje den Stadtkindern davon erzählt.
Jetzt wieder das hell aufstrahlende Licht - »Annemarie, das ist ja das Blinkfeuer des Amrumer Leuchtturms!« Peters Stimme klang vor Aufregung heiser.
»Flink - flink - Annemarie, wir müssen gleich am Strand sein!«
Es war auch die höchste Zeit. Denn das bei weitem schwächlichere Mädchen war mit seinen Kräften am Ende. Noch ein paar Schritte, dann sank es ermattet zur Erde.
Aber was war das? Das war nicht mehr der nasse Wattboden - in trockenes Heidekraut griffen Annemaries Hände. Sie waren wieder auf dem Festland - hinter ihnen brüllte in ohnmächtiger Wut das entfesselte Wattenmeer.
Eine empfindliche Kälte machte sich nach dem fieberhaften Hasten in den durchnässten Kleidern bald fühlbar. Die Kinder mußten weiter, wenn sie sich nicht auf den Tod erkälten wollten.
»Annemarie, ich trage dich, wenn du nicht mehr laufen kannst«, zum ersten Mal fühlte Peter, als Anstifter des Unheils, die Verantwortung
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