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Nesthäkchen 05 - Nesthäkchens Backfischzeit

Nesthäkchen 05 - Nesthäkchens Backfischzeit

Titel: Nesthäkchen 05 - Nesthäkchens Backfischzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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würde jetzt kommen? Alles hielt den Atem an.
    »Na, das ist wirklich stark!« Fräulein Neubert brauchte, ohne es zu wissen, Annemaries Ausdruck von vorhin. »Du willst deiner Lehrerin Vorschriften machen? Kein Wort mehr. Was die Eltern zu Hause für richtig befinden, geht mich nichts an. Ich habe dafür zu sorgen, daß die Schuldisziplin nicht verletzt wird. Und das tue ich! Erledigt! Wo waren wir voriges Mal stehengeblieben?«
    »Bei Johann Fischart«, rief es hier und dort. O weh, heute mußte sich jede zusammennehmen. Heute war mit Fräulein Neubert nicht gut Kirschen essen.
    Erledigt? Für Annemarie war die Angelegenheit noch lange nicht erledigt. Trotzig warf sie den Blondkopf zurück. So 'ne Ungerechtigkeit! Aber das ließ sie nicht stecken. Ganz gewiß nicht. Sie ging zum Direktor und beschwerte sich. Oder ...
    Annemarie zog die Stirn kraus, ein Zeichen, daß sie angestrengt nachdachte. Aber nicht Johann Fischart und seinem glückhaften Schiff von Zürich, das die Lehrerin mit der Klasse durchnahm, galten ihre Gedanken. Die wanderten ganz woanders hin.
    Hatte Klaus nicht erzählt, daß in seinem Gymnasium von den Jungen Schülerräte gebildet worden waren? Annemarie hatte eigentlich nicht viel davon begriffen. Nur so viel war ihr klargeworden, daß die Schüler durch ihren Schülerrat Beschwerde über Lehrer erheben konnten. »Jetzt lassen wir uns nichts mehr gefallen«, hatte Klaus großsprecherisch verkündet. Vater allerdings war nicht mit den Worten seines Sprößlings einverstanden gewesen. »Das fehlte noch, daß ihr dummen Jungs über eure Lehrer zu Gericht sitzt. Hat denn der Krieg euch allen die Köpfe verdreht? Nächstens werden noch Säuglingsräte gebildet, die über ihre Eltern aburteilen«, so hatte er ärgerlich geäußert. Laut auf hatte sein Nesthäkchen über die Säuglingsräte gelacht, und Klaus' Schülerräte waren ihr recht dumm vorgekommen.
    Jetzt aber in ihrer Empörung erschienen Annemarie die Schülerräte durchaus nicht mehr dumm. Im Gegenteil, dringend notwendig kamen sie ihr vor, um der bisher unumschränkten Gewalt des Lehrers eine Grenze zu setzen. Was an Klaus' Gymnasium möglich war, ging auch hier.
    »Du, Vera -« die neben ihr sitzende Freundin erhielt einen kleinen Rippenstoß ...«du, ich gründe einen Schülerrat. Dann kann sich Fräulein Neubert aber in acht nehmen.«
    »Wie? ...« Vera sah verdutzt drein.
    »Vera Burkhard, gib den Inhalt des eben besprochenen Gedichtes an!« Der Lehrerin war die Unaufmerksamkeit der beiden nicht entgangen. Vera schnellte empor und stand stumm da.
    »Einst fuhren Büchsenschützen zu Schiff von Zürich nach Straßburg.« So laut auch Annemarie vorsagte, Vera verstand in ihrer Aufregung nur die Hälfte.
    »Büchsen sind gefuhren nach ... nach die Züricher Strraße.« Der Klang haftete nur im Ohr der Freundin.
    Schallendes Gelächter erhob sich in der Klasse. Die junge Deutschpolin mit ihrem mangelhaften Deutsch lieferte oft Lachstoff. Sie hatte dann eine reizende Art mit zulachen. Heute aber lachte Vera nicht mit den anderen. Ängstlich blickte sie zu Fräulein Neubert hin, die ein böses Gesicht machte.
    »Ich denke doch, Vera Burkhard, du hättest allen Grund, mich jetzt durch doppelte Aufmerksamkeit zufriedenzustellen. Abgesehen davon, daß du jeden Augenblick dazu benutzen solltest, dein fehlerhaftes Deutsch zu verbessern. Ich kann dir in der Konferenz unmöglich die Reife für die Obersekunda zusprechen.«
    Die Tränen der Gescholtenen begannen zu fließen. Aber tröstend wisperte es von nebenan: »Heule nicht, Verachen, du bleibst nicht sitzen. Dafür wird schon mein Schülerrat sorgen.«
    Wirklich versiegten die Tränen. Vera stellte sich unter Schülerrat etwas Ähnliches wie den Herrn Schulrat vor. Ja, wenn der dafür sorgen würde!
    »Marlene Ulrich, gib du den Inhalt des Gedichtes an.«
    Die Aufgerufene schien aus einer anderen Welt zu kommen. Aber sie nahm sich zusammen.
    »Im 16. Jahrhundert fuhren Büchsenschützen zu Schiff von Zürich nach ... nach ...« Sie stockte, wurde rot und senkte verlegen den Kopf. »Nach Straßburg«, half Annemarie, obwohl sie mehrere Plätze entfernt saß, kameradschaftlich aus, während die Eulengläser ihr einen vernichtenden Blick zuwarfen.
    »Nach Straßburg.« Marlene atmete erleichtert auf. »Und zum Zeichen, daß sie die Reise in einem Tage zurücklegten, brachten sie einen Kessel mit Hirsebrei, der in Zürich gekocht war, noch warm nach Straßburg«, vollendete sie

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