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Nesthäkchen 05 - Nesthäkchens Backfischzeit

Nesthäkchen 05 - Nesthäkchens Backfischzeit

Titel: Nesthäkchen 05 - Nesthäkchens Backfischzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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endlich betrat der Ordinarius einer jeden Klasse die Kanzel, um die Namen der Glücklichen, die versetzt wurden, zu verlesen.
    Professor Herwig, der Ordinarius der Untersekunda, schneuzte sich umständlich, ehe er den großen Bogen entfaltete. Dann begann er mit belegter Stimme: »Von Untersekunda nach Obersekunda werden versetzt: Arndt, Auerbach, Below ...«
    »Ach, wenn mein Name doch mit Z begänne«, dachte Nesthäkchen.
    »Below, Bock, Braun, Burkhardt.« Ein schwer unterdrückter Freudenjuchzer wurde in der atemlosen Stille hörbar.
    »Versetzt, Vera, alle beide ... und die andern auch!« Die Namen Davis und Hermann waren inzwischen an ihrem Ohr vorübergeglitten. Nur Marlene hatte lange auf den Namen Ulrich zu warten. Aber bei der war es ja außer Zweifel, daß sie versetzt wurde. Die bangte nur vor dem Tadel.
    »Ich möchte Herwig am liebsten einen Kuß aus Dankbarkeit geben«, flüsterte Annemarie wieder ausgelassen.
    »Biete serr, aber Frräulein Neubert hat verrdienen die Kuß mehrr.« Auch Vera war überglücklich, obwohl die eigentliche Zeugnisverteilung noch ausstand.
    »Himmel, die Eulenaugen spießen mich schon wieder auf.«
    Die Lehrerin hatte in der Tat verweisende Blicke zu den Störenden gesandt. Was nun noch kam, war allen ganz gleichgültig. Die kleine Standpauke, die Professor Herwig Annemarie Braun bei der Überreichung ihrer Zensur hielt, daß es ihn schmerzte, auf dem sonst guten Zeugnis einen Tadel zu sehen, machte zur Verwunderung des alten Herrn gerade einen entgegengesetzten Eindruck. Die blauen Mädchenaugen strahlten in reinem Glück: Bloß einen Tadel ... dem Himmel sei's getrommelt und gepfiffen!
    Auch die anderen waren wie erlöst: Der Konditortadel war nicht ins Zeugnis gekommen.
    »Habe ich der Neubert gar nicht zugetraut, daß sie so anständig sein könnte«, rief Ilse Hermann unvorsichtig laut.
    »Pst!« Marlene, die wieder etwas Farbe bekommen hatte, hielt ihr den Mund zu.
    »Am Ende haben wir das deinem Schülerrat zu verdanken, Annemie.«
    Annemarie wurde zuerst ein wenig rot. Dann aber warf sie sich in die Brust: »Ist schon möglich, daß der Direktor sich auf meinen Antrag hin ins Mittel gelegt hat.« Nun kam ihr Schülerrat doch noch zu Ehren.
    Draußen ging ein häßlicher Schneeregen zur Erde nieder. Aber die Freundinnen, die untergeärmelt die Schule verließen, merkten in ihrer Freude nichts davon. Annemarie schien die ganze Welt verändert.
    »Hanne, ich bin Obersekundanerin!« Zu Hause angelangt sauste sie wie ein Wirbelwind an der öffnenden Küchenfee vorüber.
    »Na, denn biste was rechts, Annemiechen!« Hanne vermochte sie damit nicht zu imponieren.
    Der Mutter aber, die bereits vom Erkerfenster Ausschau nach ihrem so lange säumenden Nesthäkchen hielt, fiel ein Stein vom Herzen.
    »Na, Lotte, nun beichte mal, was dir heute morgen so schwer auf der Seele gelastet hat, war's bloß die Versetzung?«
    »Ja, die Versetzung und das hier.« Annemarie wies auf den säuberlich geschriebenen Tadel, den die Mutter noch nicht entdeckt hatte. »Aber du brauchst dich gar nicht darüber aufzuregen, Muttchen, denn Fräulein Neubert war geladen auf mich und selbst schuld an meiner ungehörigen Antwort.«
    »Na, na, den Tadel wirst du wohl durch vorlautes Wesen verdient haben, nicht wahr, Lotte?«
    »Muttchen, es lohnt wirklich nicht, daß du dich deshalb aufregst. Ein paar Mädel in meiner Klasse haben sogar nur 'im ganzen befriedigend' im Betragen. Und Vater sagt immer, man solle unter sich sehen und nicht über sich, damit man nicht neidisch wird.«
    »Na, Lotte, so habe ich das nun wirklich nicht gemeint.« Lautes Lachen kam von der Tür her. »Ich habe das nur auf soziale Verhältnisse bezogen. Wenn es sich darum handelt, sich an besseren Schülerinnen ein Beispiel zu nehmen, hast du sogar die Pflicht, nach oben zu sehen und nicht nach unten. Nun laß mal dein Zeugnis anschauen, und hoffentlich gibt's keine Keile dafür, du Schlingel.« Vater packte sein Nesthäkchen, wie er es so gern tat, im Nacken wie den Puck.
    »Du, Vater, du vergißt, daß ich heute sechzehn Jahre alt bin.« Annemarie reckte sich, daß sie nicht mehr viel kleiner war als Doktor Braun. »Mit Schlingel und mit Keile hat es jetzt ein Ende ... ich bin Obersekundanerin.«
    »Donnerwetter ... wirklich versetzt? Ich habe nach der Einleitung sicher gedacht, du wärest sitzengeblieben.« Der Vater zwinkerte so drollig mit dem einen Auge, daß auch die Mutter wieder lachen mußte. »Ihr habt doch mit der

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