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Nesthäkchen 05 - Nesthäkchens Backfischzeit

Nesthäkchen 05 - Nesthäkchens Backfischzeit

Titel: Nesthäkchen 05 - Nesthäkchens Backfischzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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sehr.«
    »Ach nee!« machte die Lehrerin. »Hast du noch mehr solcher interessanten Neuigkeiten?« Die Eulengläser funkelten ärgerlich.
    »Mein Vater und mein Bruder haben heute morgen Schnee geschippt«, begann Annemarie von neuem, »und ...« sie kam nicht weiter.
    »Möchtest du uns nicht verraten, was du damit zu tun gehabt hast? Sogar wenn du dich persönlich daran beteiligt hättest, verlange ich von einer Sekundanerin so viel Pflichtbewußtsein, daß sie die Schulstunde pünktlich innehält. Ich wünsche keine Entschuldigung mehr, Annemarie Braun ... geh auf deinen Platz.
    » Es lag heute wie ein Druck auf der Untersekunda. Die Klassenarbeit, die in der nächsten Stunde drohte, warf bereits ihre beängstigenden Schatten voraus. Fräulein Neubert aber schien wenig Verständnis für die beklemmende Atmosphäre zu haben. Sie war heute durchaus unzufrieden mit der Aufmerksamkeit und Teilnahme am Unterricht. Beide Teile, sowohl der lehrende als der lernende, atmeten befreit auf, als die Schulglocke laut den Stundenschluß verkündete.
    Ach, für die Untersekunda war es nur eine Galgenfrist. Jeder war die Kehle wie zugeschnürt. Marlene und Ilse hatten den dunklen und blonden Kopf zusammengesteckt und lernten noch immer die ganze Schulweisheit der lateinischen Grammatik auswendig. Vera Burkhard sagte mit in den Ohren gestopften Zeigefingern die Konjugation der unregelmäßigen Verben auf. Marianne Davis aber schrieb bereits in das lateinische Heft mit ihrer schönen Schrift: »6. Klassenarbeit« als Überschrift.
    Annemarie Braun tat nicht mit. Ach was, jetzt lernte man doch nichts mehr. Wozu noch die Zwischenpause verderben! Aber auch sie war lange nicht so lebhaft wie sonst. Plötzlich rief sie mitten in die umherschwirrenden lateinischen Vokabeln, Verben und Deklinationen: »Kinder ... Kinder, ich hab's! Ich hab' einen famosen Gedanken!«
    »Was denn?« ... »Sag doch!« ... »So rede doch!« ... Man umdrängte sie.
    »Herwig wird sicher im Schnee steckengeblieben sein, er wohnt doch in Lichterfelde. Oder vielleicht ist er auch ausgerutscht, es ist mächtig glatt draußen. Himmlisch, wenn uns der Schnee von der Arbeit befreite!«
    »Den Gefallen tut er Ihnen aber leider nicht«, klang da in das Geschwirr von hellen Mädchenstimmen eine heisere, alte Männerstimme. »Ihr menschenfreundlicher Wunsch ist nicht in Erfüllung gegangen, Braun. Weder ist die Bahn, noch bin ich selbst im Schnee steckengeblieben. Hä ... hä ... hä ... hä!« Der alte Herr lachte hüstelnd. »Und nun Hefte vor« ... er schlug plötzlich einen anderen Ton an.
    Die Hefte flogen auf die schwarzen Schultische ... die Feder gezückt und die Ohren gespitzt.
    »Erster Satz: Ich hoffe, daß Karthago in Kürze besiegt sein wird«, begann Professor Herwig, zwischen den Bankreihen auf und ab schreitend, zu diktieren.
    Frohlockende Mädchengesichter ringsum. Der Satz war nicht schwer, die Federn kritzelten.
    »Heißen es victum?« vergewisserte sich Vera jedenfalls noch bei Annemarie.
    Diese nickte. Ach, wenn es doch so leicht bliebe!
    »Zweiter Satz: Als Cäsar den Rubikon überschritt, sprach er die denkwürdigen Worte: ...«
    »Es klopft!« rief die Klasse.
    »Es klopft?« Der alte Herr blickte verständnislos über seinen Kneifer hinweg. »Nein, er sprach die denkwürdigen Worte: Der Würfel ist gefallen.«
    »Es klopft, Herr Professor ... an der Tür klopft es!« Keine Feder setzte sich in Bewegung. Alles blickte voll Erwartung nach der Tür, als müßte von dort die Erlösung kommen.
    »Öffnen Sie«, gebot der Lehrer der Zunächstsitzenden.
    Herein trat Hausmeister Piefke.
    »Herr Professor, ich soll melden, daß die Klassen von Untertertia bis Obersekunda von zehn bis zwölf Uhr zum Schneeschippen antreten sollen und daß...«
    »Juchhu!« ... »Piefke soll leben!« ... »Nein, der Schnee!« Alle Disziplin war gelöst. Die Mädel waren ganz aus dem Häuschen vor Seligkeit.
    »Ruhe im Lande ... man versteht ja sein eigenes Wort nicht. Was haben Sie uns sonst noch mitzuteilen, Piefke?«
    »Daß die Schülerinnen jleich in den Hof runterkommen möchten.« Piefke lächelte verschmitzt. Er gönnte den jungen Dingern die Freiheit.
    »Also dann müssen wir uns fügen ... wenn auch schweren Herzens ... hä ... hä ... hä ... hä!« So alt Professor Herwig war, er konnte der Jugend den Jubel nachfühlen.
    »Aber in der nächsten lateinischen Stunde wird weitergeschrieben.«
    »Ach, das ist ja noch so lange hin« ... »Erst nächsten Donnerstag«

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