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Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest

Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest

Titel: Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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Knochenbau und Zellenlehre. Übrigens steigt im Juni das sogenannte »Rosenfest«, das er für die Studentenschaft alljährlich in seinem Garten gibt. Ich freue mich schon mächtig darauf. Ich habe bisher noch kein einziges Kolleg geschwänzt. Am Nachmittag mache ich die Ausarbeitungen, bei denen mir Neumann behilflich ist, wenn ich allein damit nicht zustande komme. Sie finden hier, daß ich sehr ,,biereifrig« bin. Ich will doch bald so weit sein, daß ich Deine Assistentin werden kann, Vaterchen. Auch Stenografie lerne ich. Marlene und Ilse geben mir Unterricht. Ich zahle mit Naturalien, Obst und Schokolade. Mein Verbrauch ist nicht allzu groß. Von meinem Monatswechsel kann ich noch Ersparnisse machen. Neumann, Egerling und Krabbe leben öfters auf Pump. Natürlich! Die brauchen mehr, weil sie soviel saufen - Verzeihung, ich wollte sagen »kneipen« - und ewig einen Glimmstengel zwischen den Lippen haben. Wir Mädel rauchen nur gegen Mücken. Marlene, die Pensionstante, zieht freilich »Mückenstift« der Zigarette vor. Auf der Wanderung zum Hohenstaufen mußte sie aber eine Friedenspfeife mit uns rauchen.
    Von dem Ausflug muß ich Euch erzählen. Er war einfach famos. Am Samstag nach dem Mittagessen, das der Schwäbische Wanderbund meist gemeinsam einnimmt, ging's los. Ihr könnt Euch nicht denken, wie bezaubernd die sogenannten »Randwanderungen« auf der Schwäbischen Alb sind. Immer neue, abwechslungsreiche Bilder, bald Talblick, bald romantische, halbverfallene Burgen. Wie ist's, mein liebes Brüderlein, hast Du nicht Lust, mich in den Ferien zu besuchen? Es lohnt sich. Die Schwäbische Alb ist keine Gipfelkette, wie unsere anderen deutschen Mittelgebirge, sondern eine weite Hochfläche, auf der sich Waldungen, Felder und Weiler breiten. Ganz eigenartig. Auf dem Hohenstaufen wurde fotografiert. Die ersten Aufnahmen habe ich natürlich verwackelt. Aber jetzt geht's schon ganz nett und macht mir riesige Freude. Sagt das der Großmama, die ich tausendmal grüßen lasse. Brief und Bilder sind auch für sie bestimmt.
    In dem kleinen Städtchen Kirchheim blieben wir über Nacht. Aber geschlafen haben wir nicht viel. Wir fünf Mädel alle in einem saalartigen Zimmer. Da könnt Ihr Euch denken, was wir Spaß bekommen haben. Einer unserer Studenten hat auf dem Billard übernachtet, die anderen in der Scheune.
    Am Sonntagmorgen ging's in aller Frühe den steilen Teckberg hinauf zur Hohen Teck. Egerling, der in dieser Gegend daheim ist, kramte seine Kenntnisse aus. Er zeigte uns beim Aufstieg Schwamm- und Korallenfelsen.
    Also, Ihr seht, wie gut es Eurem ausgeflogenen Nesthäkchen in der Fremde ergeht. Sehnsucht habe ich noch nicht. Nur, wenn es irgendwo ganz besonders schön ist, wünsche ich Euch herbei. Und da habe ich schon gedacht, ob man nicht im August, wenn Universitätsferien sind, hier in der schönen Gegend gemeinsam die Erholung genießen könnte. Oder auch im Schwarzwald. Das ist ja alles nicht weit. Vater muß unbedingt ausspannen, Du, Muttichen, bist sicher auch erholungsbedürftig, und Hänschen hatte mir fest versprochen, mich mal zu besuchen.
    Schade, daß Klaus nicht von seiner Klitsche fort kann. Also eilt alle miteinander in die Arme Eurer Euch liebenden
    Lotte-Annemarie
     
    Nachschrift: Bitte bestellt den Faultieren Vera, Margot und Marianne tausend Grüße. Sie sollen unseren Brief bald beantworten.
     
    Nesthäkchens langer Brief und die dazugehörigen Bilder machten eine Rundreise, alle studierten ihn, sogar die drei daheim gebliebenen Freundinnen. Großmama mochte sich gar nicht wieder von den Bildern ihres Lieblings trennen. Tante Albertinchen aber war entsetzt. Besonders »Die erste Mensur«, die auch bereits Hannes Unwillen erregt hatte, fand sie geradezu absurd. Und daß Nesthäkchen mit fremden jungen Leuten wie ein Handwerksbursche im Lande herumzog, das wollte ihr auch nicht in den Kopf. Ja, ja, die guten alten Zeiten! Da wäre so etwas ganz unmöglich gewesen!

Rosenfest im Neckartal
     
    Tübingen stand kopf. Wenigstens soweit seine medizinische Studentenschaft in Frage kam. Das berühmte alljährliche Rosenfest bei Professor Bergholz fand heute statt. Alles, was zur Medizin gehörte und bei ihm gehört hatte, war geladen.
    Studenten hatten Annemarie erzählt, daß der Professor gemeinsam mit seiner Tochter und seiner Nichte ein sehr gemütliches Leben führe. Seine Frau war schon jahrelang tot.
    Das Rosenfest bedeutete ein Ereignis für Annemarie. Ein Biedermeierfest sollte es

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