Nesthäkchen 07 - Nesthäkchen und ihre Küken
Blondhaar.
»Ich kann darüber nicht reden, auch ... mit dir nicht.«
Wieder ging es stumm unter tropfendem Naß dahin.
»Früher gab es keine Schranke zwischen uns, Ilse, da sprachen wir über alles«, meinte Marlene traurig. »Ich verstehe dich nicht.«
»Ja, ich verstehe mich selbst jetzt nicht mehr, Marlene. Wie soll es da ein anderer tun. Nur eins fühle ich deutlich: daß ich mich mächtig dämlich benommen habe und daß ich mich entsetzlich vor dir schäme«, sagte Ilse.
»Ich denke, wir machen einen dicken Strich unter diese häßliche Episode, Ilse. Schlimm genug, daß sie uns die Ferientage so verdorben hat.« Warm blickten sich die Freundinnen in die Augen.
»Natürlich, die beiden Unzertrennlichen wieder Arm in Arm!« Ein kecker, junger Spatz piepste es einer Freundin laut genug zu, daß es bis zum Ohr der jungen Lehrerinnen drang.
Aber der Verweis, den es zu anderer Zeit sicherlich für die vorlaute Bemerkung gesetzt hätte, blieb heute aus. Im Gegenteil, das strenge Fräulein Doktor Ulrich lächelte und drückte ihrer Freundin zärtlich die Hand. Frohgelaunt begannen sie das neue Semester ...
Und es gab noch jemand, der sich an diesem häßlichen Regentag freute, nämlich Vronli Hartenstein, die heute zum ersten Mal in die Schule gehen sollte. Noch früher als der Hahn hatte sich Vronli heute gemeldet, um nur ja nicht den wichtigen Termin zu verschlafen. Jede Stunde war sie da, wie der Kuckuck aus der Kuckucksuhr, die in der Diele hing.
»Vronli, wenn du nit Ruhe gibst, darfst überhaupt nimmer in die Schule gehen«, sprach der müde Vater ein Machtwort.
»Dann muß ich einen Entschuldigungszettel kriegen, gelt, Vaterle? Au, das wäre auch fein!« Wie es auch kam, was das Schicksal ihr auch bescherte, Vronli hatte die glückliche Gabe, es stets gut zu finden.
»Mutterli, wann ist' sdenn sieben?« Das Kind war so aufgeregt, daß es keinen Schlaf finden konnte.
Annemarie hielt es für geraten, sich totzustellen. Da gab' sauch in der Kinderstube wieder Ruhe, wenigstens für eine Weile. Bis wieder ein kleiner hellbrauner Struwwelkopf in der Verbindungstür erschien. »Nu ist' aber bestimmt Zeit ... ich kriege sonst einen Tadel.«
»Und das soll ich zehn Schuljahre lang aushalten, und bei dem Trio mit drei multipliziert, gar dreißig Jahr lang? Nein, das kann unser Herrgott nit wollen, daß ein Vater so arg geplagt ist«, stöhnte Rudi.
So müde Annemarie war, sie mußte doch über dies merkwürdige Rechenexempel ihres Mannes lachen.
»Jetzt biste ausgeschlafen, Mutterli, gelt? Jetzt darf ich aufstehen?« Vronli hatte ihren Vorteil sofort erfaßt.
»Aber Vronli, es ist ja erst fünf Uhr. Gleich legst du dich wieder hin. Mutti weckt dich schon zur Zeit. Wenn du nachher in der Schule einschläfst vor lauter Müdigkeit, lachen dich die Kinder aus.«
Das letzte Argument zog. Die kleinen, nackten Füße tappten in das Bett zurück! Und bald war Vronli noch mal eingeschlummert. Auch Annemarie besorgte das so gründlich, daß sie ganz entsetzt hochfuhr, als der Kuckuck siebenmal seinen Ruf erschallen ließ.
Merkwürdig, wie munter das Kind trotz der nächtlichen Spaziergänge sogleich war. »Weißt du, Rudi, das Vronli ist in allem wie du. Gerade das Gegenteil von mir. Als ich zum ersten Mal in die Schule ging, mußte mich das Fräulein mit dem nassen Schwamm aus dem Bett holen.«
»Verschähle, Muttißen.« Der Hansi war auch bereits da und ganz Ohr.
»Nee, Jungchen, das kann kein Mensch von mir verlangen, dazu bin ich in dieser grauen Morgenfrühe noch nicht aufgelegt.«
Aber der kleine Mensch verlangte es trotz alledem.
»Verschählen ... von naschen Swamm verschählen, Muttißen!« Hansis weinerliche Stimme stellte bereits einen Sologenuß in Aussicht.
Was sollte man tun? Klein-Ursel schlief noch und sollte möglichst nicht gestört werden. Annemarie stieß einen tiefen Seufzer aus - die Kinder erzogen die Eltern. »Also, ich wollte damals nicht aufstehen, und da ...«, begann Annemarie, während sie Vronlis Zöpfe flocht, mit müder Stimme.
»Dar niß rißtig. Du mußt defällist verschählen, es war einmal ...« Hansi war ein strenger Kritiker.
»Also? Es war einmal ein kleines Mädchen«, begann die Mutter, in ihr Schicksal ergeben, »das hieß Nesthäkchen.«
»Iß weiß, das war unse Uschel«, unterbrach Hansi erfreut.
»Nee, das war gar nicht Klein-Ursel, sondern es hieß Annemarie, und wenn es sehr lieb war, nannte man es auch 'Lotte'. Es hatte zwei Rattenschwänzchen wie das
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