Nesthäkchen 07 - Nesthäkchen und ihre Küken
Vronli. Die waren aber blond und ... Vronli, die Schulschürze wird erst nach dem Frühstück umgebunden, sonst bekleckerst du sie dir mit Milch.«
»Nee ... nee ... das tommt dar niß in der ßönen Deßißte vor«, begehrte Hansi auf. »Vronli, sind die Nägel auch sauber? Hast du ein Taschentuch? Nein, die Schulmappe hat noch Zeit. Erst wird Milch getrunken.«
»Muttißen, weiterverschählen von Neschthäksen«, bestand der Filius. »Das Büble redet grad'so wie deine schwäbischen Freunde aus der Tübinger Studentenzeit, das Karpfenaug' und der Viehdoktor, gelt, Frauli?« rief Rudi herein. »Vaterle soll niß immer daswissen dwatsen«, räsonierte Hansi.
»Aber Hansi, das sagt man nimmer zum Vater, das ist garstig!« tadelte Rudi, wahrend Annemarie sich abwenden mußte, um ihre Heiterkeit zu verbergen. »Von naschen Swamm verschählen ...« Der schien dem Kleinen unauslöschlichen Eindruck gemacht zu haben.
»Na, ja, also weil ich nicht aufstehen wollte und so schrecklich müde war ...«
»Das war doch dar niß iß, Muttißen. Das war doch das Neschthäksen.« Jetzt weinte
Hansi wirklich vor Ärger.
Seine Mutter aber lachte hellauf. »Richtig, Hansimann, das hatte ich ja bloß vergessen. Also das Nesthäkchen war so schrecklich müde und wollte nicht aufstehen und gähnte ununterbrochen ...«
»Wie du immer, Muttißen, niß wahr?« Hansi schien doch jetzt eine Ähnlichkeit herauszufinden.
»Ja, geradeso wie ich. Und weil es doch zum ersten Mal in die Schule gehen sollte, nahm sein Fräulein einen ...«
»Jnädje Frau, der Kaffe is alle«, schrie Flora aus der Küche.
»Ich komme schon, ich gebe Ihnen gleich Kaffee, Flora.« Frau Annemarie wollte eiligst zur Tür hinaus. Aber sie hatte die Rechnung ohne den Wirt oder vielmehr ohne ihren Herrn Sohn gemacht. Wie der Wind war der Hansi aus dem Bett. Mit einer Schnelligkeit, die man dem dicken, kleinen Kerl gar nicht zugetraut hätte, hatte er die Mutter beim Zipfel ihres Morgengewandes erwischt.
»Was nahm sein Fäulein ... was nahm sein Fäulein, Muttißen ... bitte, bitte, liebes, einjes Muttißen, was nahm ...«
»Junge, du zerreißt mir ja meinen Morgenrock. Einen Schwamm nahm sie ... ja doch, Flora, ich komm'ja schon.« Nun war sie glücklich draußen.
»Du hast dar niß von naschen Swamm verschählt!« Jammerliches Wehklagen folgte Frau Annemarie.
Die konnte sich aber jetzt nicht um den Schmerz ihres Sprößlings kümmern. Flora hatte den Kaffeetisch draußen auf der Veranda gedeckt. Die Kaffeedecke glich bereits einem Meer, aus dem Brotkorb, Marmeladedose und Tassen wie Riffe herausragten.
»Aber Flora, wir sollen uns wohl den Tod hier draußen holen! Flink, decken Sie im Speisezimmer auf!«
»Da bin ich noch mittenmang bei's Reinmachen.« Flora rührte sich in vorbildlicher Gemütsruhe nicht von der Stelle.
Um so rascher bewegte sich die junge Frau. Eins, zwei, drei standen die in der Mitte aufgestapelten Möbel an ihrem Platz. »Bitte die Milch für Vronli, aber ein bißchen Extrapost, Flora. Und dann ziehen Sie sich Stiefel an. Sie sollen Vronli in die Schule bringen. Ich kann nicht von den Kleinen fort.«
Als Doktor Hartenstein wenige Minuten darauf das Zimmer betrat, fand er einen behaglich gedeckten Kaffeetisch vor, der nichts mehr von einer Überschwemmung verriet.
Vronli war ungeheuer stolz darauf, daß sie heute zum ersten Mal mit den Eltern am Frühstückstisch sitzen durfte. Das heißt, sie saß keinen Augenblick still. Alle Minuten sprang sie auf, weil sie nun ganz bestimmt gehen müsse, die Schule hätte sicher schon angefangen. Und zwischendurch rannte sie in die Küche hinaus, um nachzusehen, ob denn Flochen noch immer nicht ihre Gummistiefel angezogen hatte. Endlich war es soweit. Eltern und Vronli atmeten auf. Angetan mit der Schulschürze, der neuen Mappe, die noch so leer war, daß der Federkasten bei jeder Bewegung hin und her hopste, nahm das kleine Schulmädel mit ungeheurem Selbstbewußtsein Abschied.
»Also das jüngste Semester ... Herzle, wie kommst dir denn vor mit deiner großen, schulpflichtigen Tochter?« neckte Rudi.
»Uralt, Rudi. Mir ist's noch, als wäre es gestern, daß ich selbst so stolz losmarschiert bin. Und heute macht unser Küken bereits den ersten Flug aus dem Nest. Die Gummistiefel, Vronli. Warte, mein Herzchen, ich begleite dich noch bis ans Gartentor.« Annemarie griff nach ihrem Regenmantel.
Gleich darauf patschten Annemarie und Vronli den aufgeweichten Gartenweg entlang. Flochen sprang mit
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