Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste
dem sonnenbeschienenen Rasen. Frau Ilse kam aus dem Keller, in dem die Wirtschaftsräume lagen, sie trug eine große Schüssel mit Kuchen.
»Mutting, du blühst ja wie eine Pfingstrose, freilich schon eine etwas stark erblühte.« Klaus Braun, der, aus dem Stall kommend, quer über den Hof dem Hause zuschritt, konnte es noch immer nicht lassen, seine Ilse zu necken und aufzuziehen.
»Dein Glück, daß du nicht verblühte gesagt hast, du ungalanter Mann. Sonst hätte ich dir den Brotkorb, beziehungsweise die Kuchenschüssel, höher gehängt«, drohte Frau Ilse. »Dann geb' ich Vating meinen Kuchen.« Werner war Vaters Liebling. Er war Ilse aus dem Gesicht geschnitten.
Die Vespermahlzeit wurde auf dem runden Tisch unter dem lenzgrünen Nußbaum hergerichtet, wobei Peter, der Älteste, der Mutter zur Hand ging. »Meine Haustochter«, pflegte Ilse scherzhaft zu sagen.
»Fix, Mutting - mach man fixing, der Zug wird bald kommen«, drängte Günther.
»Ihr habt noch eine volle Stunde Zeit, Kinder«, beruhigte die Mutter.
Klaus Braun hatte seine kurze Pfeife in Brand gesetzt - denn eine Pip Tobak, das gehörte nun mal zur Waterkant. Die Vesperstunde, das war seine schönste Stunde am Tage.
Auch heute ließ der Gutsherr in zufriedenem Behagen den Blick in die Runde schweifen.
Lüttgenheide hatte sich in den etwa fünfzehn Jahren, seitdem er es übernommen hatte, gut herausgemausert; den Ertrag der Äcker hatte emsige Arbeit beinahe verdoppelt.
Die Waldungen waren frisch aufgeforstet worden. Neue Stallungen und Scheunen waren emporgewachsen. Unter Ilses fleißiger Hand, unter ihrer ständigen Aufsicht gedieh Obst- und Gemüsezucht. Die Kälberkinderstube hatte sie ebenso am Bändel wie die eigene. Seine vier Jungen! Das war doch das Beste an dem ganzen Besitztum. Er hatte keine Enttäuschung empfunden, als sooft statt des erwarteten Mädels wieder solch ein Prachtkerl seinen Einzug auf Lüttgenheide gehalten hatte. Im Gegenteil, er hatte seiner Frau versichert, daß sie überhaupt die geborene Jungenmutter sei, und daß er sie sich gar nicht wie Marlene Frenssen drüben auf Grotgenheide als Mutter von drei Grazien vorstellen könnte. Ja, die Ilse! In ihr verkörperte sich sein Glück. Sie gab ihm Freude zur Arbeit, sie machte ihm sein Heim zum Mittelpunkt der Welt. Sie teilte mit ihm die Sorgen, und sie war ihm ein treuer Kamerad.
Ilse, die kunstgerecht einen Flicken in Peters Hosenboden einsetzte, mußte wohl, obgleich sie nicht aufschaute, den warmen Blick fühlen, mit dem ihr Mann sie umfaßte. »Nanu?« fragte sie und hob die Augen von dem zerlöcherten Hosenboden. »Du schaust mich ja an wie ein verliebter Kater, Klaus. Wir sind nicht mehr auf der Bergruine bei blühendem Holunder.« Dort hatten sie sich einst vor Jahren gefunden. »Meine Alte«, sagte er und reichte ihr die Hand hinüber.
Ilse legte ihre trotz der Arbeit gutgepflegte Rechte belustigt hinein. »Soll ich das etwa für eine Liebkosung ansehen, du unhöflicher Gesell? Aber im Ernst, was ist mit dir los, daß du so zärtliche Anwandlungen bekommst? Ist der Pfingstkuchen etwa besonders gut geraten?« »Materielles Weib!« schalt Klaus. »Sind dir all deine Ideale in den Backtrog gefallen?« »Daß die Liebe bei euch Männern durch den Magen geht, das war schon zu Adam und Evas Zeiten bekannt. Sonst hätte sie ihm nicht den Apfel gereicht«, wehrte sich Ilse. »Und dazu mußte ich eine Lehrerin heiraten. O Gott, was hab' ich mich in die Brennesseln gesetzt.« Klaus verbarg sein Schmunzeln hinter dicken Dampfwolken. Die Jungen, die sich inzwischen damit beschäftigt hatten, sämtliche Hunde und Katzen des Gutes mit Pfingstmaien zu schmücken, erschienen wieder auf der Bildfläche. »Vating - Vating, nu müssen wir aber los.« - »Kann Krischan den Jagdwagen anspannen?« - »Ich möchte selbst kutschieren«, umdrängten sie den Vater.
»Der Jagdwagen ist zu klein. Ich soll euch doch sicher alle drei zur feierlichen Einholung mitnehmen? Laß Krischan man den Landauer nehmen«, bestimmte der Vater. »Nee, Vating, nee! Du sollst überhaupt nicht mitkommen. Bleib man bei Mutting. Es sind doch unsere Vettern, die wir abholen. Man bloß Jungs. Da will ich allein kutschieren«, bestürmte ihn Peter.
Zehn Minuten später ratterte der Schimmelwagen mit den Lüttgenheider Blondköpfen aus dem Hoftor. Alle drei thronten sie stolz auf dem Bock. Keiner mochte im Wagen sitzen.
Frau Ilse sah dem Gefährt nach. »Weißt du, Klaus, ich habe heute nicht die richtige
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