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Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste

Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste

Titel: Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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begleiten Sie mich denn, wenn Sie verknurrt sind?« fragte sie patzig.
    Ursel war eine vorzügliche Sprachlehrerin. Das Wort »verknurrt« hatte der Brasilianer bereits bei ihr gelernt.
    »Serr verknurrt«, bestätigte er. »Aber begleiten, weil Regen, und Sie haben kein Schirm.« »Oh, bemühen Sie sich nicht, Herr Tavares. Ich bin nicht aus Zucker und weiche bei Regen nicht auf.«
    Nichtsdestoweniger wich er nicht von ihrer Seite. »Warum Sie sagen Herr Tavares zu mir?« fragte er plötzlich. »Ja, wie soll ich denn sagen?« verwunderte sich Ursel.
    »Wenn Sie sagen Paul zu frremdes Tenor, Sie können sagen auch Milton zu guttes Frreund. Name ist ebenso schön«, beschwerte sich der Brasilianer.
    Aber er hielt erstaunt in seinem Ärger inne. Silberhelles Lachen war plötzlich an seiner Seite erklungen, so von Herzen kommend, als wüßte Ursel nicht, daß sie miteinander »verknurrt« seien. »Dummer Milton!« Damit war Ursel auch schon lachend die Steinstufen zum Eingang der Hochschule emporgesprungen. Denn von der Turmuhr schlug es vier.

Auf der Hochschule
     
    In der Chorstunde war man in großer Aufregung.
    Im großen Saal der Hochschule fanden regelmäßig im Winter Meisterkonzerte statt. Eine Sängerin, die für das nächste Konzert verpflichtet war, hatte abgesagt. Nun hatte sich der Leiter der Meisterkonzerte an die Hochschule gewandt, ob nicht irgendeine fortgeschrittene Schülerin einspringen könne. Ursel erschien, wie meist, mit pünktlicher Unpünktlichkeit zugleich mit dem Dirigenten.
    »Haben Sie es schon gehört, Hartensteinchen?« So wurde Ursel von fast allen genannt.
    »Was denn?« Ursels Neugier war geweckt.
    »Eine von uns soll im nächsten Meisterkonzert auftreten.«
    Der Taktstock des Dirigenten, Professor Bocks, machte dem Geflüster ein Ende. Man studierte die Matthäuspassion. Ursel Hartenstein kannte das Werk noch nicht. Sie war hingerissen von seiner schlichterhabenen Schönheit. Da erschien Professor Lange auf der Bildfläche. Das kam öfter mal vor, daß er zu den Solopartien erschien, da er diese mit seinen Gesangschülern einstudiert hatte und ihre Wirkung unter Beteiligung des Chors erproben wollte. Heute hatte er andere Absichten.
    Professor Bock klopfte ab, als der Chor sich zu dem Choral »O Haupt voll Blut und Wunden« erhob. »Herr Professor Lange wünscht einige Damen hier im Saal singen zu hören. Ich unterbreche die Chorstunde daher.«
    Grenzenlose Spannung lag über all den jungen Musikschülern. Nun kam's. Wer mochte die Glückliche sein?
    Professor Lange nahm das Wort. »Wie Sie wohl schon gehört haben, meine Damen und Herren, handelt es sich um das nächste Meisterkonzert hier in diesem Saal. Wir sollen Lückenbüßer sein. Mir liegt natürlich daran, daß unsere Hochschule in würdigster Weise repräsentiert wird. Ich wende mich an Sie selbst, welche der Damen halten sie dazu am geeignetsten?«
    »Fräulein Neudorf« - rief es hier und da, »Fräulein Binder« - das war die Altistin der Matthäuspassion. Fräulein Neudorf reckte den Kopf wie ein Pfau. Fräulein Binder bekam zwei kreisrunde rote Flecke auf beiden Backen vor Aufregung. Da rief jemand: »Fräulein Hartenstein.« Es war die Nachbarin Ursels, eine begeisterte Verehrerin ihrer Stimme. Ursel hielt erschreckt den Mund zu.
    Professor Lange strich sich seinen schönen, weißen Bart. »An die Namen, die mir genannt wurden, habe ich auch in erster Reihe gedacht. Ich schlage vor, daß wir sogleich eine Prüfung vornehmen, wie die Stimmen hier im Saal klingen. Darf ich die Damen bitten vorzutreten.« Fräulein Neudorf war bereits da. Sie fand diese Prüfung eigentlich recht überflüssig. Sie hatte die beste Stimme, davon waren alle überzeugt, und sie selbst am meisten. Wozu dann bloß die Umstände? Fräulein Binder bebte am ganzen Körper. Sollte sie die Ortrudarie singen? Oder lag ihr die Azuzena aus dem »Troubadour« nicht noch besser? Professor Lange überflog die nach vorn getretenen Damen. »Fräulein Hartenstein fehlt noch«, sagte er. »Nein, das war ja bloß Spaß«, rief Ursel aus der Ecke.
    »Nein, das war durchaus Ernst, Fräulein Hartenstein. Bitte, treten Sie ebenfalls vor.« Fräulein Neudorf betrat als erste stolz erhobenen Hauptes das Podium. »Was wollen Sie singen, Fräulein Neudorf? Vielleicht ein Schubertlied, einen Brahms und einen Strauß«, schlug Professor Lange vor. Fräulein Neudorf begann mit dem Heideröslein. Sie hatte wirklich eine Riesenstimme. In dem Bemühen, die anderen

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