Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel
werden.« Die Kinder kamen zurück, Edchen sehr aufgebracht.
»Omama, die Marietta hat über unsere schöne große Palme gelacht. Sie sagt, in Brasilien seien die Palmen hundertmal so hoch. Die schwindelt doch, nicht wahr, Omama?« »Dafür kennt sie nicht mal 'nen Apfelbaum«, triumphierte Lilli.
Onkel Hans kam früher aus der Fabrik nach Hause, um seine jungen Nichten zu begrüßen. »Wißt ihr denn noch, wie ihr vor Jahren in Sao Paulo beide auf meinen Schultern geritten seid?«
»Ja.« Marietta lachte in der Erinnerung. »Mammi war so froh, als Onkel Juan war bei uns.« »Onkel Hans heiße ich hier in Deutschland. Nun, wie ist's wieder mit einem Schulterritt?« zog er sein Nichtchen auf.
»Nein, ich, Vater - ich!« Die kleinen Buben drängten sich eifersüchtig hinzu. »Die Jetta ist überhaupt viel zu groß dazu«, erklärte Edchen.
»Jetta reitet lieber auf richtigen Pferden. Sogar mich und Frau Trudchen wollte sie noch aufs Pferd setzen«, scherzte die Großmama.
»Ei, Marietta, da biete ich mich dir als Kavalier an. Ich pflege jetzt täglich morgens ein Stündchen auszureiten.«
»Oh, dann wir wollen kaufen Pferde sofort und reiten morgen, Onkel Juan.« Ganz lebhaft wurde Marietta.
»Morgen schon? So schnell werdet ihr keine Pferde auftreiben können. Ich werde sie euch aus dem Tatterstall leihweise besorgen.«
»Ihr wißt ja noch gar nicht, wie sich der Großvater dazu stellt, Jetta«, wandte die Großmutter ein. »Auch reitet Onkel Hans sicher frühmorgens zu einer Zeit, wo ihr noch schlaft.«
»Werden wir stehen auf früh und reiten mit Onkel Hans. Wann sollen wir sein bereit?« »Um sechs Uhr reite ich fort, um acht bin ich zum Frühstück zurück.« »Gut, Reiten sehr gesund. Großpapa wird nicht sagen nein.«
»Und die Schule, Jetta?« gab Großmama zu bedenken. »Du vergißt ganz, daß ihr zum 1. Juni in eine deutsche Schule kommen sollt. Die Schulen beginnen hier um acht. Aber jetzt ist es Zeit, daß wir daran denken heimzugehen, mein Mädel. Der Weg ist weit.« »Oh, noch mal gehen spazieren?« Betrübt blickte Marietta auf ihre Schuhchen. »Ruth, hast du nicht ein Paar Schuhe, die du der Jetta leihen kannst? Wir müssen geeignetes Schuhwerk anschaffen.«
Die Tante brachte bereitwillig verschiedene Paar Schuhe herbei. Aber, obwohl auch sie einen kleinen Fuß hatte, Mariettas zierlichen Füßchen waren sie noch zu groß. Auch die Kinder schleppten ihre Schuhe herbei, sogar der Kleinste. »Das reine Aschenbrödelmärchen«, scherzte Onkel Hans. »Was ist Aschenbrödel?« fragte Marietta.
»Aschenbrödel - Omama, die Jetta kennt Aschenbrödel nicht? Ist die dumm!«
Die kleinen Mädchen kamen sich der amerikanischen Kusine gegenüber ungeheuer klug vor.
»Aschenbrödel kennt schon Klein-Heinz«, sagte Edchen geringschätzig. »Und Rotkäppchen und die Geißlein auch«, frohlockte der Kleine.
»Hat euch die Mutter denn gar keine deutschen Märchen erzählt, mein Herzchen?« verwunderte sich auch die Großmama. »Was ist Märchen?« fragte Marietta verlegen.
»Arme Kinder, seid ihr etwa in eurem nüchternen Amerika ohne Märchen aufgewachsen? Hat eure Mutter euch nie Geschichten von guten Feen und lustigen Zwergen erzählt? Ich begreife meine Ursel gar nicht«, wandte sich die Großmama kopfschüttelnd an Sohn und Schwiegertochter.
Einen Vorwurf gegen ihre geliebte Mammi - nein, den durfte Marietta nicht mit anhören. »Unsere Mammi hat erzählt uns Geschichten, als wir waren klein. Aber ich habe vergessen.«
»Nun, Marietta, ihr seid ja bei der lieben Großmama. Da seid ihr an der richtigen Quelle. So wie sie kann keiner Märchen erzählen. Nicht wahr, Kinder?« kam Tante Ruth taktvoll ihrem jungen Gast zu Hilfe.
»Ja, die Omama soll Märchen erzählen« - »Vom 'Katerlieschen'» - »Nein, lieber vom 'Gestiefelten Kater'» - »Ach, von 'Schneeweiß und Rosenrot' ist viel schöner ...« Acht kleine Arme umstrickten zärtlich bettelnd die Großmama.
»Nächsten Sonntag, Kinder. Heute wartet der liebe Opapa auf uns.«
Nun war es doch so spät geworden, daß man zurückfahren mußte.
Marietta wußte so viel von ihrem ersten Spaziergang mit der Großmama zu berichten, daß Anita es doch bereute, sich ausgeschlossen zu haben. Das schöne Haus des Onkels hätte sie auch gern gesehen. Aber daß Marietta nicht gleich für den nächsten Morgen einen Ritt mit dem Onkel fest verabredet hatte, fand sie ungeschickt. Vielleicht konnte man sich noch telefonisch verabreden.
Dabei aber stieß Anita
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