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Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Titel: Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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war, so schnell schon an eine andere Stelle versetzt zu werden. Das bedeutete eine Auszeichnung. Und vor allem galt es doch, immer weiterzustreben, immer Neues zu lernen. »Man muß seine Arbeit als Ganzes heben, aber man darf nicht stehenbleiben. Sonst verliert man darüber das Ziel aus den Augen.« Das war Gerdas Auffassung. »Du magst recht haben, Gerda«, gab Marietta zu, als sie Arm in Arm mit ihr durch den nadelfeinen Regen dem Internat der gegenüberliegenden hauswirtschaftlichen Frauenschule zuschritt. Dort nahmen sie an den Tagen, an denen sie des Nachmittags praktisch tätig waren, das Mittagessen ein. »Recht hast du schon, aber - wir sind eben verschieden. Ich arbeite mehr mit dem Herzen, du mit dem Verstande.« »Mit dem Herzen allein wirst du viele Enttäuschungen erleben. Glaube mir, Kind« - Gerda tat, als ob sie zehn Jahre älter wäre, - »das Herz muß vom Verstand regiert werden.« »Puh!« - Marietta schüttelte ihr goldbraunes Kraushaar, an dem die Regentropfen blitzten. »Weißt du, Gerda, das Regenwetter hier draußen ist gerade nicht dazu geeignet, beim Promenieren tiefsinnige Dinge zu erörtern. Komm rasch«, sie schauerte zusammen, »wir sind ganz durchnäßt.«
    »Das macht nichts, ich bin mit meinem Lodenmantel zweckmäßig gekleidet. Dein Gummimantel hält nicht so warm. Wenn wir später unsere Besuche bei den notleidenden Familien machen müssen, dürfen wir auch nicht nach dem Regen fragen. Das wird dir vielleicht manchmal recht schwer werden, Jetta, bei Wind und Wetter, von Straße zu Straße, treppauf, treppab. Solchen Regen kennt man bei euch im Sonnenland sicher nicht.« »Sage das nicht, Gerda. Wenn es mal bei uns in den Tropen regnet, dann gießt es Bäche vom Himmel herunter, wie man es hier gar nicht kennt. Dann gibt es große Überschwemmungen. Das Vieh auf den Weiden ertrinkt. Die Häuser stehen unter Wasser, und die Leute fahren mit Kähnen in den Straßen. Merkwürdigerweise ist der Himmel dabei oft ganz blau, es regnet aus blauem Himmel. Das könnt ihr euch kaum vorstellen, nicht wahr? Ich erinnere mich, wie Anita und ich eines Tages in Sao Paulo mit der Miß einkaufen waren. Bei herrlichstem Wetter waren wir fortgefahren. Plötzlich strömender Regen, ihr nennt es einen Wolkenbruch. Das Wasser stand alsbald so hoch, daß unser Auto nicht einmal durchkam. In unseren leichten Kleidern mußten wir durch Bindfadenregen mit einem Boot heimfahren.«
    Gerda hatte aufmerksam zugehört. Sie liebte es, wenn Marietta aus dem Tropenland berichtete. Die beiden jungen Mädchen waren inzwischen durch Gänge, Treppen und Korridore der hauswirtschaftlichen Frauenschule geschritten. Wie in einem Ameisenstaat kribbelte es dort von fleißigen Mädchen. Und weise, wie in einem wohlorganisierten Ameisenstaat, zog jedes die ihm vorgeschriebene Bahn. Mit großen Wirtschaftsschürzen angetan, erfüllte ein jedes seine Pflicht auf dem ihm angewiesenen Platz. Unten im Souterrain, in der weißgekachelten Waschküche, standen sie in kurzärmeligen Kleidern am dampfenden Waschfaß und Spülzuber und spritzten sich, trotz emsiger Arbeit, übermütig das Seifenwasser ins Gesicht. In dem Raum daneben wurde die schon getrocknete Wäsche sorgfältig von den jungen Hausgeistern gelegt und gemangelt. Wieder eine Abteilung weiter, da fuhren die langen, elektrischen Eisen über weißes Leinen. Die große Küche mit dem Herd in der Mitte bildete den Haupttummelplatz der jungen Welt. Da wurde gequirlt und gerührt, gekocht, gebacken und gebraten; Geschirr gespült, Töpfe gescheuert. Ein Stockwerk höher surrten Nähmaschinen; Scheuerbürsten dämmten Wasserfluten, überall war emsiges Treiben. Für die junge Brasilianerin war diese planmäßige hauswirtschaftliche Ausbildung der deutschen Mädchen immer wieder eine Quelle der Bewunderung. Wie notwendig derartige praktische Kenntnisse waren, hatte Marietta inzwischen oft genug eingesehen. In dem Studienjahr nach der Schulzeit auf der allgemeinen Frauenschule hatte sie sich auch hauswirtschaftlich dort betätigt. Das Tropenprinzeßchen mit den zarten Fingern hatte sich vor keiner Arbeit gescheut. Sie war tüchtig und umsichtig dabei geworden. Das kam ihr jetzt bei ihrer sozialen Hilfsarbeit sehr zustatten.
    Der geräumige Eßsaal lag im obersten Stockwerk. Gerda und Marietta entledigten sich draußen ihrer nassen Mäntel und betraten den hell getünchten Raum. An langen Tafeln mit blendendweißem Tischzeug, von Zöglingen zierlich gedeckt, saßen bereits etwa

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