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Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Titel: Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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Zigarrenkisten mit dem Laubsägekasten allerlei nettes Mobiliar, Tisch, Stühle und Betten, während die größeren Mädel Gardinen, Tischdecken und Bettdecken stickten. Alle waren voll emsiger Geschäftigkeit dabei. Die Kleinen arbeiteten mit feuerroten Bäckchen. Ein Lob von Tante Jetta, ein anerkennendes Streicheln der blonden und dunklen Köpfchen war der schönste Lohn.
    »So, Fräulein Martha, jetzt ist ja alles hier eifrig bei der Arbeit, ich werde mich erst zu meinen Krippenkindern begeben«, wandte sich Marietta an die junge Helferin. »Ich komme bald wieder zu euch, Kinder, wer inzwischen am schönsten gearbeitet hat, bekommt eine Belohnung.« Damit verließ Marietta den Raum.
    In der Laufkrippe im Zimmer gegenüber waren die Ein- und Zweijährigen, die zum Teil schon auf eigenen Füßchen einhertrappelten. Auch diese Abteilung gehörte zu ihrer Ausbildung. Aber da sie älter war als die anderen Mädchen und da diese alsbald merkten, daß sie die Sache besser beherrschte als sie selbst, räumten sie ihr eine leitende Stellung ein. Marietta in ihrer Bescheidenheit machte niemals einen falschen Gebrauch davon. Sie übernahm nicht nur die Rechte, sondern auch die Pflichten und Verantwortung einer Lehrerin.
    Auch in dem großen, saalartigen Zimmer, der Laufkrippe, wurde Mariettas Erscheinen jubelnd begrüßt. »Tatta Setta - Tatta Setta!« aus dem großen Laufgitter, das die Mitte des Raumes einnahm, tappelte es auf unsicheren Beinchen, kroch es auf allen vieren, angelte es mit den Ärmchen jauchzend der Eintretenden entgegen. Die ergriff eins der zappelnden kleinen Dinger und schwenkte es zur allgemeinen Erheiterung in der Luft umher. Dann gaben alle Kleinen Patschhändchen und sagten guten Tag.
    Ein etwas größerer Junge saß abseits von den anderen in einer Ecke. Er hatte sich nicht an den allgemeinen Empfangsfeierlichkeiten beteiligt. Er hatte einen auffallend großen Kopf und sah ziemlich verständnislos drein. Aber als Marietta jetzt zu ihm trat, ihm über die Haare fuhr und liebevoll fragte: »Ottchen, wer bin ich?« da leuchtete das teilnahmslose Gesichtchen plötzlich auf. »Sette«, sagte er mühsam. Es war das einzige Wort, das der bereits Vierjährige bisher gelernt hatte. Er gebrauchte es sowohl für Marietta als auch für die Kinderserviette, die man ihm zu den Mahlzeiten umband. Beides war ihm gleich wichtig, die einzigen Lichtpunkte in seinem Dämmerleben. Ottchen war geistig zurückgeblieben und daher noch in der Laufkrippe, der er seinen Jahren nach schon entwachsen war. »Unser Wasserköpfchen« nannten ihn die jungen Helferinnen. Marietta aber mochte das nicht hören. Ihr tat das arme behinderte Kind leid. Unermüdlich versuchte sie, die schlummernden Geisteskräfte in ihm zu wecken, mit dem Erfolg, daß er jetzt das erste Wort »Sette« sprach. Augenblicklich hatte Ottchen die Entrüstung seiner Pflegerinnen erregt. Er war noch nicht stubenrein und mußte wieder frisch behost werden. Krampfartiges Husten aus dem Laufgitter ließ Marietta in ihrer Sorge um Ottchen innehalten. Ja, was war denn mit Mausi? Mausi hatte zwar neulich schon etwas gehustet, aber so arg ...
    »Erna, hat Dr. Ritter Mausi heute gesehen?« erkundigte sie sich erschreckt. Der Arzt kam täglich in den Kinderhort, um die Kinder zu beobachten. Diese zuckte gleichmütig die Achseln. Fräulein Hilde aber meinte: »Die Kleine hustet ja bloß ein bißchen. Dr. Ritter hat ihr vor einigen Tagen Brechwurzelsaft verschrieben. Den nehmen wir pünktlich ein, nicht wahr, Mausichen?«
    Mausichen konnte nicht antworten, denn der Husten würgte sie. Die Tränen traten dem Kind dabei in die Augen, puterrot wurde das Gesichtchen von dem Anfall.
    »Mausi muß sofort isoliert werden - das Kind hat bestimmt Keuchhusten«, ordnete Marietta erregt an. Sie kannte diesen krampfartigen Husten von ihrer früheren Tätigkeit her. »Wir müssen den Arzt und Fräulein Jungmann« - das war die Hortleiterin - »sofort rufen. Hier muß desinfiziert werden. Hoffentlich ist noch keins von den anderen Kindern angesteckt.«
    Mausi wurde mit Gummiquietschpuppe und einer abwaschbaren Zelluloidkatze in die Isolierbaracke, einem Nebenzimmer, einquartiert. Fräulein Erna, die sie dort betreuen sollte, behauptete, den Keuchhusten noch nicht gehabt zu haben und für Ansteckung besonders empfänglich zu sein. Fräulein Hilde fand, sie sei bei den anderen Kindern unentbehrlich. So wanderte Marietta mit Mausi, Gummiquietschpuppe und Zelluloidkatze in den Isolierraum.

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