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Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Titel: Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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zurückzuziehen, weil für die Ferienkolonie in erster Reihe elende Kinder in Frage kämen, da fiel ihr ein, warum wohl Frau Neumann ihr Lenchen nicht angemeldet habe. Das Kind war doch wirklich durchsichtig und erholungsbedürftig genug. Am Ende wußte sie gar nichts davon. Man sollte sie darauf aufmerksam machen. Sie konnte ja morgen in der Pause schnell mal in den Hort hinaufspringen und Lenchen einen Brief für die Mutter mitgeben. Überhaupt sehnte sie sich schon wieder nach ihren Hortkindern. Dabei kam ihr zum Bewußtsein, daß sie Lenchen schon eine Reihe von Tagen nicht gesehen hatte. Weder oben am Fenster noch unten an der Haustür.
    Als Marietta am andern Tag in der Pause zwischen Wohlfahrtspflege und Verwaltungskunde schnell mal in den Hort hinüberlief, um Lenchen den Brief an die Mutter auszuhändigen, wurde sie von ihren kleinen Freunden, wie immer, mit Jubel begrüßt. Aber Lenchen war nicht darunter. Sie erfuhr, daß das Kind im Schnee ausgerutscht und unglücklich gefallen sei, sich den Fuß verstaucht habe und schon seit acht Tagen fehlte.
    Marietta war bestürzt. Daß sie sich gar nicht um ihren kleinen Liebling, der so treulich an ihr hing, hatte kümmern können. Und heute war es auch ganz unmöglich. Am Nachmittag hatte sie Innendienst im Sekretariat der Kinderfürsorge. Da mußte sie über das Ergebnis ihrer gemachten Besuche Bericht erstatten. Aber der nächste Nachmittag war von theoretischer und praktischer Arbeit frei. Freilich, für die Stunden gab es genug zu Hause zu arbeiten. Auch wollten die Großeltern an dem freien Nachmittag gern etwas von Marietta haben. Aber diesmal ging das arme Lenchen vor.
    Mit einem ziemlich umfangreichen Paket, das Erfrischungen, Beschäftigungsspiele und ein Märchenbuch enthielt, betrat Marietta das Haus, in dem Lenchen wohnte. Es war ein recht häßliches, baufälliges Haus mit einem unsauberen, schmalen Hof. »Neumann - Quergebäude, vier Treppen«, hatte der Verwalter auf Anfrage der jungen Dame Auskunft erzeilt. Neugierige Gesichter tauchten hier und da an Fenstern und Türen auf. Was hatte die schöne, vornehme Dame denn hier zu suchen?
    Endlich stand Marietta vier Treppen hoch oben auf dem dunklen Vorraum, auf den mehrere Treppen mündeten. Armes kleines Lenchen, daß du hier in diesem häßlichen, düsteren Haus deine Kindheit zubringen mußt! Wenn es Sommer wäre, hätte man das Kind auf einige Zeit nach Lichterfelde zur Erholung hinausnehmen können. Aber jetzt im Winter hatte das ja keinen Wert. Auf gut Glück klopfte Marietta an eine der Türen. Eine Frau öffnete und wies unfreundlich, auf Mariettas Frage nach Frau Neumann, auf eine andere Tür. Richtig, da hing ja ein kleines Schild, das den Namen trug. Bei der Dunkelheit hatte es Marietta übersehen. Die ausgeleierte Türschwelle gab nur ein heiteres Schnarchen von sich. Keiner öffnete. Marietta begann von neuem zu klopfen. Es dauerte eine Ewigkeit, bis geöffnet wurde. Gewiß war die Mutter nicht zu Hause. Gerade als Marietta unverrichteter Sache wieder kehrtmachen wollte, hörte man drinnen Schritte. Langsam und ungleichmäßig, als ob dem Betreffenden das Gehen schwer würde. Die Tür wurde geöffnet, eine alte Frau mit glattem, grauem Scheitel fragte freundlich nach dem Begehr der Dame.
    »Ich bin Tante Jetta aus dem Kinderhort und wollte mich nach Lenchens Befinden erkundigen«, stellte sich das junge Mädchen vor.
    »Unser Lenels Tante Jetta - nu kummen Se ooch hinne, kumm Se ooch hinne. Und sein ooch nich beese, daß Se halt so lange haben warten müssen. Ich bin Ihnen halt gar so schlecht uff a Fissen. Nee, was wird ooch unser Lenel fir a Freide haben!« Die alte Frau ließ die Hand des jungen Besuches nicht los. Da rief es auch schon aus dem Nebenzimmer: » Tante Jetta - Tante Jetta ...« Verhaltener Jubel klang mit. Durch eine saubere, kleine Küche erreichte Marietta das Wohn- und Schlafzimmer. Da lag auf dem Sofa das Lenchen. Ganz rot vor Freude streckte es Marietta beide Hände entgegen. »Tante Jetta ist da!« sagte sie zu der Großmutter, als könne sie das Glück gar nicht fassen.
    »Guten Tag, Lenchen. Was machst du nur für Sachen. Hast du arge Schmerzen, du armes Kind?« Liebevoll streichelte Marietta das semmelblonde Haar.
    »Jetzt nicht mehr so doll, nur noch, wenn ich gehen will. Aber zuerst, da hat es mächtig weh getan. Ich war so traurig, daß ich nicht mehr in den Hort gehen und dich gar nicht mehr sehen konnte«, setzte sie leise hinzu.
    »Nun bin ich ja bei dir,

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