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Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Titel: Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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Lenchen, und habe dir auch was mitgebracht. Wollen wir das Paket mal aufmachen, ja?«
    Doch Lenchen schüttelte zu Mariettas Verwunderung den Kopf.
    »Es ist auch ohne das Paket schön, wenn du bloß da bist, Tante Jetta.« Das Kind war wirklich rührend in seiner Liebe.
    Die Großmutter, die mit Wäschenähen beschäftigt war, aber meinte: »Nee, Lenel, wenn die Tante halt so gutt is und se bringt dir was mitte, denn mußte ooch das Paket uffmachen und dich halt damit freien.« Marietta freute sich über den Herzenstakt dieser einfachen Frau.
    Sie sah sich, während Lenchen nun ans Auspacken der mitgebrachten Herrlichkeiten ging, in dem Stübchen um. Sicher hatten die Leute mal bessere Tage gesehen. Weiße, saubere Gardinen, eine Zimmerlinde mit einigen kleinen Ablegern am Fenster. Marietta war in letzter Zeit viel in kleinbürgerliche Wohnungen gekommen. Sie hatte reinliche und verkommene Häuslichkeiten kennengelernt. Aber hier strahlte alles vor Sauberkeit. Das kleine Zimmer strömte Gemütlichkeit und Behagen aus.
    Die alte Frau war den Blicken des jungen Besuches gefolgt. »Es ist halt bei uns hier nischte zu sehen, liebe Dame. Mer haben schon zuville verkaufen missen. Ja, frieher, als ich noch daheeme war im Westfalenland, da hat' halt andersch bei uns ausgesähen.« »Aus Westfalen kommen Sie, Frau Neumann?« Jäh durchzuckte es Marietta. »Liebig - Frau Liebig is halt mein Name. Die Tochter heißt Neumann. Nu freilich, nu freilich ooch bin ich vom lieben Westfalen härgemacht.« Ihre blaugeäderten Hände flogen mit erstaunlicher Schnelligkeit durch den weißen Wäschestoff. Ganz still saß Marietta. Als ob ihre Glieder plötzlich zu Blei geworden. »In der lieben Heimat ...« einmal in ihrem Leben hatte sie diese Worte gehört und nie wieder vergessen können. Drüben im Tropenland war's, im Plantagendorf, von den Lippen einer Sterbenden. Und hier neben ihr Lenchen mit demselben semmelblonden Haar wie Lottchen, den gleichen Gesichtszügen - auch die alte Frau hatte diese breitgezeichneten Augenbrauen, die dem Gesicht einen ganz besonderen Ausdruck gaben.
    »Großmuttel, Großmuttel, sieh nur mal her - Schokolade und ein Glas Erdbeeren und so schöne Spielsachen!« Bei Lenchen kam jetzt doch die kindliche Freude an den mitgebrachten Herrlichkeiten zum Ausdruck.
    »Nee, was is die Tante Jetta ooch gutt zu dir. Nu nähmen Sie ooch unsern scheensten Dank, liebes Fräulein. Nee, was wird's meiner Tochter halt leid tun, daß sie ooch grade Arbeit abliefern gähen mußte«, sagte die alte Frau dankbar. Marietta saß da und wagte nicht, die Frage zu tun, die ihr auf der Seele brannte: Ob Frau Liebig noch eine andere Tochter habe, die nach Amerika hinübergegangen sei. Sollte sie in das Schicksal dieser Menschen eingreifen? Durfte sie Lottchen aus dem Frieden des Kunzeschen Familienlebens herausreißen? Aber vielleicht war alles nur Hirngespinst - es kommen doch viele Leute aus Westfalen. Es hatten mehr Kinder semmelblondes Haar.
    Viel früher, als sie ursprünglich die Absicht gehabt hatte, brach Marietta ihren Besuch bei Lenchen ab. Jeden Augenblick fürchtete sie, daß sich ihr die schwerwiegende Frage, ihres Vorsatzes ungeachtet, über die Lippen drängen konnte. Sie verständigte die Großmutter davon, daß ihre Tochter für die Kleine bei der Ferienkolonie anfragen solle, damit Lenchen mit einem Kindertransport im Sommer zur Erholung aufs Land geschickt werde. »Se meinen' gutt, Se meinen' gewiß gutt mit dem Lenel, liebe Dame. Aber gern gäb' ich's halt nich her, das Lenel. Es is halt unser ein und alles. Ich hab' schon zuviel hingäben müssen.« Die alte Frau strich sich mit der abgearbeiteten Hand über die Schürze, als wolle sie damit sagen, daß alles dahin wäre.
    »Nun, Lenchen würde doch nur für kurze Zeit aufs Land kommen, Frau Liebig, wenn sie überhaupt angenommen wird. Auf vier Wochen oder bestenfalls für drei Sommermonate. Wenn sie nachher mit roten Backen wieder zu Ihnen zurückkehrt, freut sich doch die Großmutter am meisten«, sagte Marietta in ihrer lieben Art, die ihr überall die Herzen gewann.
    »Nu ja, nu freilich. Aber so hat schon mancher gesprochen und is nich wieder heemegekommen.« Die alte Frau blickte starr vor sich hin.
    Marietta hatte plötzlich die Empfindung, als ob ihr die Luft knapp würde. Atembeklemmend legte es sich ihr auf die Brust. Sie erhob sich schnell, sich zu verabschieden, ehe die Großmutter weitersprechen konnte.
    »Also leb wohl, Lenchen. Und werde nur

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